15.12.2020

Umweltmängel ohne Ende

Portrait von Dr. Klaus Lützenkirchen
Dr. Klaus Lützenkirchen Rechtsanwalt

Bekanntlich muss ein Gericht den Mietvertrag auslegen, wenn die Parteien die zur Ermittlung eines Mangels notwendige Sollbeschaffenheit weder ausdrücklich noch konkludent festgelegt haben. Für einen Umweltmangel hat der BGH in der Bolzplatzentscheidung vom 29.4.2015 – VIII ZR 197/14 insoweit die ergänzende Vertragsauslegung eingeführt und dabei festgestellt, der Vermieter würde die Verantwortung gegenüber dem Mieter für Veränderungen in der Umwelt nur dann tragen, wenn ihm in der konkreten Situation Beseitigungs- oder Entschädigungsansprüche zustehen.

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Diese Entscheidung hat eine kontroverse Diskussion ausgelöst. Neben den Vertretern, die eine Beschränkung der Entscheidung auf Bolzplätze annahmen (LG Berlin v. 12.7.2018 – 67 S 105/18) oder jedenfalls die Beweislast für Beseitigungs- und Entschädigungsansprüche beim Vermieter sahen (LG München I v. 14.1.2016 – 31 S 20691/14), gab es Stimmen, die in der Entscheidung eine generelle Aussage für alle Umweltmängel erkannten (LG Berlin v. 09.02.2016 – 63 S 177/15) und damit auch für den in der Praxis häufigsten Fall eines Umweltmangels, nämlich den Baulärm. Diese Meinung hat der BGH durch seine Entscheidung vom 29.04.2020 – VIII ZR 31/18 bestätigt, wenngleich er die Beweislast für die Beseitigungs- und Entschädigungsansprüche nach der Risikosphären-Theorie dem Vermieter auferlegte. Wer sich nun gefreut hatte, dass endlich wieder ein Problem durch den BGH geklärt war und insofern für die Beratungspraxis Sicherheit gegeben war, hatte sich getäuscht. Das Kammergericht hat überzeugend dargelegt, dass eine ergänzende Vertragsauslegung nur zulässig ist, wenn über eine Auslegung des Vertrages kein Ergebnis ermittelt werden kann (KG v. 17.9.2020 – 8 U 1006/20). Eine Auslegung soll aber nicht nur möglich sein, sondern auch ein anderes Ergebnis, als es der BGH gefunden hat, hervorbringen. Durch Rückgriff auf § 558 Abs. 2 BGB kommt der 8. Senat des Kammergerichts nämlich zu dem Ergebnis, dass die Höhe der Miete wesentlich durch die Lage der Mieteinheit geprägt wird und damit Gegenstand des vertragsgemäßen Zustandes ist. Die Qualität der Lage wird auch durch die Umwelteinflüsse, der die Mieteinheit ausgesetzt ist, bestimmt. Umso mehr muss eine Veränderung im Umfeld der Mieteinheit, die mit zusätzlichen Lärmemissionen verbunden ist, sich auf die Höhe der Miete auswirken, also einen Mangel der Mietsache begründen. Neben diesen eher dogmatischen Ansätzen kann eine einfache Frage die Richtung weisen: auch der VIII. Senat des BGH hat Lärm bereits als Mangel anerkannt (u.a. BGH v. 6.10.2004 – VIII ZR 355/03). Im Unterschied zum Baulärm, über den der BGH am 29.4.2020 entschieden hat, stammte dieser Lärm zwar aus dem Gebäude selbst. Warum der Mieter aber für die Annahme einer Minderung danach unterscheiden muss, ob der Lärm aus dem Gebäude stammt oder von außen auf ihn eingewirkt, ist nicht nachvollziehbar. Auch wenn wir stets zu bedenken haben, dass bei der Beratung eine Abweichung von der Rechtsprechung des BGH einen Regress begründen kann (BGH v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06), sollte dem Mieter geraten werden, anstatt zu mindern, lieber die Zahlung unter Vorbehalt zu leisten und den Minderungsbetrag zurückzufordern.

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