20.12.2019

Haftungsbeschränkung: Arztpraxisverkauf durch nicht approbierten Erben

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Michael Marfels RD a.D.

Zum Sachverhalt: Da der Kläger (Kl.) die geerbte Pathologie-Praxis mangels eigener Approbation nicht fortführen durfte, veräußerte er sie und erzielte hieraus einen einkommensteuerpflichtigen Gewinn. Über den Nachlass wurde das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet. Da der Kl. die auf den Veräußerungsgewinn entfallende festgesetzte ESt nicht zahlte, betrieb das FA die Zwangsvollstreckung durch Erlass von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen und Eintragung einer Sicherungshypothek. Daraufhin beantragte der Kl. die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 258 AO sowie festzustellen, dass die Zwangsvollstreckung in sein Eigenvermögen unzulässig sei.

Dies lehnte das FA ab, da aus dem Nachlassinsolvenzverfahren keine Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf den Nachlass folge. Hiergegen trägt der Kl. vor, die Praxisveräußerung sei ihm nicht zuzurechnen: Er habe keine Handlungsoption gehabt, da er wegen mangelnder Berufsqualifikation die Praxis habe verkaufen oder schließen müssen. Folglich seien die auf den Veräußerungsgewinn entfallenden, ihm zwangsweise entstandenen Steuerschulden auf den Nachlass beschränkt.

Das FG Münster hat die Klage als unbegründet abgewiesen, da der Kl. der Zwangsvollstreckung in das Eigenvermögen nicht die Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf den Nachlass nach § 45 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 1975 BGB entgegensetzen kann.

Gemäß dem § 45 Abs. 2 Satz 1 AO ist für die Frage, ob eine Steuerschuld von der Haftungsbeschränkung umfasst ist, das zivilrechtliche Haftungsregime maßgebend, und zwar unabhängig davon, dass steuerrechtlich allein der Erbe die Einkünfte erzielt hat. Gemäß § 1967 BGB haftet zunächst der Erbe unbeschränkt, aber ggf. beschränkbar, z.B. gem. § 1975 BGB u.a. durch die Nachlassinsolvenzeröffnung. Diese Haftungsbeschränkung erfasst die vom Erblasser herrührenden Schulden und die sog. Erbfallschulden, die den Erben als solchen treffen, z.B. Pflichtteils-, Vermächtnis- und Auflagenverbindlichkeiten. Diese entstehen mit dem Erbfall und beruhen nicht auf einem Verhalten des Erben, sondern sind trotz ihrer Entstehung nach dem Erbfall zuvor abschließend durch den Erblasser angelegt worden. Folglich sind vom BFH insb. die vom Nachlassverwalter begründeten Verbindlichkeiten einschl. der von ihm begründeten Steuerschulden ebenso wie die Beerdigungskosten und die Erbschaftsteuer als Erbfallschulden qualifiziert worden. Ebenso wurde die ESt-Schuld aus der Veräußerung eines Motorschiffes nicht als Eigenschuld des Erben eingeordnet, wenn die Veräußerung bereits zu Lebzeiten des Erblassers eingeleitet und die Abwicklung aufgrund seerechtlicher Besonderheiten weder durch den Erben noch einen Nachlassverwalter zu beeinflussen war.

Für Eigenschulden haftet der Erbe dagegen mit seinem gesamten Vermögen, da der Rechtsverkehr davon ausgehen muss, dass für vom Erben durch eigenes Verhalten begründete Verbindlichkeiten das gesamte Vermögen und nicht nur ein Nachlass als Vollstreckungsobjekt zur Verfügung steht. Auch wenn sich Gläubiger von Nachlasserbenschulden, die durch die Nachlassverwaltung entstehen, ihre Ansprüche direkt gegen den Nachlass geltend machen können bzw. bei Nachlassinsolvenz diese vorab zu befriedigen sind, um eine aufwendige Pfändung dieses Freistellungs- oder Ersatzanspruches zu vermeiden, ändert dies nichts am Bestehen des Anspruches gegen den Erben selbst und seine Haftung mit seinem Eigenvermögen.

Die Praxisveräußerung mit der Folge des Veräußerungsgewinns nach § 16 EStG beruht auf eigenem Verhalten des Kl., da er mit ihr am Rechtsverkehr teilgenommen hat, der davon ausgehen konnte, dass das Eigenvermögen des Kl. als Haftungsmasse zur Verfügung steht. Dies gilt gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 AO auch im Steuerrecht. Folglich liegt eine Eigenschuld des Kl. vor, auf die die Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf den Nachlass keine Anwendung findet.

Nach dieser Entscheidung führt die Veräußerung, Aufgabe oder allmähliche Abwicklung einer freiberuflichen Praxis durch den nicht qualifizierten Erben immer zu einer Eigenschuld hinsichtlich der darauf beruhenden Einkommensteuer, für die er mit seinem eigenen Vermögen haftet.

Der Kl. hatte auch weitere Handlungsoptionen: Zwar musste er die Praxis aus berufsrechtlichen Gründen aufgeben, da eine Verpachtung berufsrechtlich und damit auch steuerlich nicht möglich ist. Dies konnte aber durch Betriebsaufgabe oder -veräußerung oder allmähliche Abwicklung erfolgen, so dass er mehrere Handlungsoptionen hatte, in welchem Umfang und in welcher Form er die Praxis nutzt, indem er ihren Wert (anteilig) realisiert, u.U. sogar ohne Aufdeckung der stillen Reserven. Die Möglichkeit der Ausschlagung ist entgegen der Ansicht des FA keine Handlungsoption. Das Unterbleiben der Ausschlagung ist keine hinreichende Haftungsgrundlage, die zur Begründung von Eigenschulden führt, da sonst die Haftungsbeschränkungen der §§ 1975 ff. BGB weitgehend leerlaufen würden.

Zwar musste der Kl. die Praxis aus berufsrechtlichen Gründen aufgeben, so dass die Steuerschuld zwingend entstanden ist. Auch wenn damit die Entstehung einer Steuerschuld durch den beruflich qualifizierten Erblasser angelegt war, erkennt das FG angesichts der aktiven Veräußerungshandlung eine systematische Gleichstellung der verschiedenen Entstehungstatbestände nicht an, da ansonsten für alle Formen der Steuerentstehung eine Haftungsbeschränkung anzunehmen wäre. Unerheblich ist der Einwand des Kl., er werde dafür bestraft, Arbeitsplätze erhalten und eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung gewählt zu haben, da das erbrechtliche Haftungsregime nicht auf wirtschaftspolitischen Überlegungen beruht.

Das FG lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu, da der BFH bisher nur über eine Erbfallschuld, nicht aber über Eigenschulden des Erben befunden hat. Zudem ist in der Rspr. nicht geklärt, ob bei berufsrechtlich bedingter zwangsweiser Betriebsaufgabe oder -veräußerung die hierdurch entstehende Steuerschuld zur Beschränkung der Nachlasshaftung führt.

Bei der Beratung muss auf diese unbeschränkte Haftung hingewiesen werden. In vergleichbaren Fällen sollte dennoch die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass geltend gemacht werden unter Hinweis auf die Revisionszulassung. Es bleibt abzuwarten, ob der Kl. Revision einlegen wird. Das Urteil erscheint fraglich, da der Erbe keine Möglichkeit hat, die Einkommensteuer zu vermeiden, wenn er aus berufsrechtlichen Gründen die Praxis verkaufen muss und auch nicht verpachten kann.

FG Münster v. 24.9.2019 – 12 K 2262/16 (Rev. VII R 42/19), ErbStB 2020, 9

 

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