01.08.2018

Probleme beim Veräußerungsgewinn und Ausflug in die AO

Portrait von Friedemann Kirschstein
Friedemann Kirschstein Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht

Unser Mandant ist seit vielen Jahren an einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis beteiligt. Im Jahre 2006 erhielt diese aus drei Ärzten bestehende Praxis von der Kassenärztlichen Vereinigung begünstigte Nachzahlungen i.S.v. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG für mehrere Jahre, für die wir im Gewinnfeststellungsbescheid die Fünftelregelung nach § 34 Abs. 1 EStG beantragt haben. Der Feststellungsbescheid erging erklärungsgemäß.

In den Einkommensteuererklärungen der Beteiligten setzten wir demgemäß die festgestellten Nachzahlungen als durch die Fünftelregelung begünstigte Einkünfte ein. Bei zwei der Gesellschafter wurde diese Vergünstigung antragsgemäß gewährt, während bei einem Beteiligten fälschlicherweise - aber zugunsten des Mandanten - der ermäßigte Steuersatz für Veräußerungsgewinne nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt wurde. Der Steuervorteil aus dem zu Unrecht gewährten ermäßigten Steuersatz gegenüber der Fünftelregelung betrug für unseren Mandanten etwa 8.000 €. Einen Einspruch zulasten des Mandanten hatten wir nicht eingelegt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Im Jahre 2016 schied der betreffende Gesellschafter aus der Gemeinschaftspraxis aus. Wir machten den ermäßigten Steuersatz für den Veräußerungsgewinn geltend, den das Finanzamt unter Hinweis auf den bereits in 2006 in Anspruch genommenen ermäßigten Steuersatz ablehnte. Die Steuerauswirkung beträgt etwa 300.000 € zulasten unseres Mandanten.

Das Finanzamt beruft sich bei seiner Ablehnung auf das Urteil des BFH vom 8.3.1994 - IX R 12/90. In diesem Urteil hatte der BFH die erneute Gewährung der Vergünstigung des selbstgenutzten Wohneigentums nach § 7b EStG abgelehnt, auch wenn sie vom Finanzamt zu Unrecht gewährt worden war. Nach meiner Einschätzung geht der Hinweis seitens des Finanzamts erstens fehl, weil die Vorschrift des § 7b EStG sowohl im Jahre 2006 als auch im Jahre 2016 nicht mehr galt und zweitens, weil der Steuerpflichtige in den 7b-Fällen tatsächlich zwei selbstgenutzte Immobilien erworben hatte. In unserem Fall lag aber in 2006 ein Fall der Fünftelregelung und im Jahr 2016 ein Fall des ermäßigten Steuersatzes vor, also zwei verschiedene Sachverhalte mit zwei unterschiedlichen Vergünstigungsvorschriften.

Darüber hinaus beruft sich das Finanzamt auf die Rechtsprechung des BFH vom 21.7.2009 - X R 2/09, in dem der Steuerpflichtige in einem Jahr einen Veräußerungsgewinn erzielt hatte, für den er zwar den ermäßigten Steuersatz nicht beantragt, aber vom Finanzamt zu Unrecht erhalten hatte und nunmehr für eine weitere Veräußerung die Vergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG erneut in Anspruch nehmen wollte. In unserem Fall liegen aber nicht zwei Veräußerungsgewinne, sondern eine Zusammenballung von Einkünften und ein Veräußerungsgewinn vor.

Darüber hinaus beruft sich das Finanzamt auf den Beschluss des BFH vom 1.12.2015 - X B 111/15. Dieser Beschluss kann m.E. schon deshalb nicht anwendbar sein, weil er chronologisch nach Ergehen des Bescheides für 2006 erlassen wurde. Es hätte für den Berater schon hellseherische Kräfte erfordert, in 2006 zu erkennen, das der BFH eine Beschwer nach § 350 AO sieht, wenn sich der Steuerpflichtige nicht gegen eine ihm zu Unrecht gewährte Vergünstigung wehrt. Im Übrigen kommt der BFH in diesem Urteil zu dem Ergebnis, dass dem Steuerpflichtigen die Vergünstigung über die Billigkeitsregelung des § 163 AO zu gewähren sei, wenn der damals gewährte Steuervorteil zu dem nunmehr versagten Steuernachteil gering ist. In unserem Fall beträgt der in 2006 zu Unrecht gewährte Steuervorteil etwa 2,67 % des in 2016 nicht gewährten Steuervorteils und ist m.E. als gering anzusehen, so dass die Vergünstigung des ermäßigten Steuersatzes erneut gewährt werden müsste.

Im Übrigen bestand m.E. in 2006 keine Verpflichtung, das Finanzamt auf die zu Unrecht gewährte Vergünstigung hinzuweisen.

Das Finanzamt lässt sich durch alle diese Argumente allerdings nicht beeindrucken. Nicht einmal dadurch, dass wir bereits angekündigt haben, für den Fall des Unterliegens im finanzgerichtlichen Verfahren den entstandenen Schaden im Rahmen eines Amtshaftungsanspruches geltend zu machen.

Natürlich gibt es noch einige weitere Aspekte, die in diesem Fall vortragen werden. Es geht um Fragen der materiellen Bestandskraft, des Ermessens, der echten Rückwirkung etc. Die Schriftsätze umfassen insgesamt etwa 20 Seiten. Das würde den Rahmen des Blogs wohl sprengen.

Zurück