20.04.2020

Barwert der Ausgleichszahlungen als (weitere) Untergrenze beim Squeeze-out bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages - (wie) wird sich der BGH entscheiden?

Portrait von Dr. Frederik Ruthardt und Dr. Matthias Popp
Dr. Frederik Ruthardt und Dr. Matthias Popp

Bei einem Squeeze-out bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages stellt sich die Frage der Relevanz der in der Regel festen Ausgleichszahlungen für die Barabfindung. Der BGH (v. 12.1.2016 – II ZB 25/4) hat klargestellt, dass die als ewige Rente kapitalisierte Ausgleichszahlung bzw. der Barwert der Ausgleichszahlungen („BdA“) keine Wertobergrenze für die Abfindung darstellt. Der anteilige Unternehmenswert sei maßgeblich, wenn dieser über dem BdA liegt. Die Frage, ob der BdA neben dem Börsenkurs als (weitere) Untergrenze zu berücksichtigen ist, hat der BGH im Jahr 2016 explizit offengelassen.

In der Literatur wird in Bezug auf die Bedeutung des BdA von einer unsicheren Rechtslage, der Irrelevanz der Ausgleichszahlungen, der Möglichkeit eines Kombinationswertes aus zeitlich begrenzter Ausgleichszahlung und Ertragswert, sowie davon ausgegangen, dass der BdA als Untergrenze zu berücksichtigen ist (vgl. zu einzelnen Nachweisen Popp/Ruthardt in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rz. 12.219).

Das OLG Düsseldorf (v. 15.11.2016 – 26 W 2/16, AG 2017, 672) hat nach der Entscheidung des BGH im Jahr 2016 seine Auffassung bekräftigt, nach der der BdA generell nicht zu berücksichtigen sei und zur Begründung auf rechtliche Überlegungen abgestellt (vgl. zu den Kernaussagen Ruthardt, DB 2017, 535): Die Ausgleichsberechtigung vermittele keine grundrechtlich relevante und damit verfassungsrechtlich schutzbedürftige Rechtsposition. Sie stelle kein mitgliedschaftliches Recht dar und beinhalte lediglich ein vorübergehendes schuldrechtliches Forderungsrecht gegenüber Dritten, das durch zahlreiche Maßnahmen, die zur Beendigung des Unternehmensvertrages führen, entschädigungslos entzogen werden könne.

Dagegen hat jüngst das OLG Frankfurt (v. 20.11.2019 – 21 W 77/14, AG 2020, 298) die Auffassung vertreten, der BdA sei als Mindestwert zu berücksichtigen, wenn dieser den anteiligen Ertragswert und den Börsenkurs übersteigt. Aufgrund der Divergenz zur Auffassung anderer OLG hat das OLG Frankfurt mit seiner Entscheidung v. 20.11.2019 die sofortigen Beschwerden dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

Das OLG Frankfurt hält dabei insbesondere fest, das Anteilseigentum vermittele neben der mitgliedschaftlichen Stellung auch vermögensrechtliche Ansprüche. In vermögensrechtlicher Hinsicht trete bei einem Unternehmensvertrag der i.d.R. festbemessene Ausgleich nach § 304 AktG an die Stelle der Dividende und stelle wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär geleisteten Einlage. Vor diesem Hintergrund stelle die Fruchtziehung in Form der Ausgleichszahlung einen Teil der Beteiligung des Minderheitsaktionärs in vermögensrechtlicher Hinsicht dar, die bei der Kompensation zwingend zu berücksichtigen sei. Eine Berücksichtigung dieses Teils der Beteiligung des Minderheitsaktionärs habe dabei in Form einer Untergrenze der Abfindung zu erfolgen.

Das OLG Frankfurt argumentiert insofern aus der Perspektive des außenstehenden Aktionärs. Es sei der Grenzpreis (des Anteils) zu ermitteln, zu dem ein außenstehender Aktionär aus der Gesellschaft ausscheiden könne, ohne einen wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden. Das OLG Frankfurt orientiert sich grundsätzlich an den Beträgen, die einem außenstehenden Aktionär mit dauerhafter Halteabsicht („Daueranleger“) unter Abstraktion von der Strukturmaßnahme unter Berücksichtigung der aus der Sicht des Stichtages (unter vereinfachenden Annahmen) erwarteten Laufzeit des Unternehmensvertrages zukünftig zugeflossen wären.

Die Frage, ob durch den Rückgriff auf die im Spruchverfahren erhöhte Ausgleichszahlung nach Einkommensteuer, die unterstellte unendliche Laufzeit des Unternehmensvertrages und den für die Kapitalisierung angesetzten Zinssatz im vorliegenden Fall eine betriebswirtschaftlich nachvollziehbare Wertindikation für diese Perspektive ermittelt wird, soll hier nicht vertieft werden.

Für eine erhöhte Transparenz lässt sich jedenfalls bezogen auf den Ausgleich nach Einkommensteuern für die Stamm- und Vorzugsaktie und den festgelegten Kapitalisierungszinssatz mittels Rentenbarwertfaktor die implizite Laufzeit des Unternehmensvertrages bestimmen, die sowohl für die Stammaktien als auch die Vorzüge zu einem Barwert der Ausgleichszahlungen führt, der gerade noch unterhalb der korrespondierenden Börsenkurse liegt. In den Rentenbarfaktor geht die Laufzeit sowie der Abzinsungseffekt aus dem zeitlichen Anfall der Ausgleichszahlung ein. Hiernach muss die Vertragslaufzeit für die Stammaktien mehr als 56 Jahre betragen. Für die Vorzüge liegt die entsprechende Laufzeit bei mehr als 53 Jahren. Ob es sich bei impliziten Laufzeiten in dieser Größenordnung um realitätsgerechte Annahmen handelt, soll hier wiederum nicht vertieft werden. Festzuhalten bleibt, dass die Parameterfestlegungen des OLG Frankfurt für beide Aktiengattungen zu einem um rund 22,9 % gegenüber dem Bewertungsgutachten erhöhten Barwert der Ausgleichszahlungen führen.

Abgesehen von der Frage der konkreten Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen bzw. deren betriebswirtschaftlich richtiger „Bewertung“ sind vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren intensiv geführten Diskussionen zur grundsätzlichen Bedeutung des BdA keine wesentlich neuen Argumente mehr zu erwarten. Es bleibt nur abzuwarten, ob sich der BGH hier positioniert bzw. sich auch dezidiert mit der betriebswirtschaftlichen Sichtweise zur grundsätzlichen Relevanz und konkreten Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen auseinandersetzen wird.

Hinweis: Für eine ausführliche Darstellung des Vorlagebeschlusses des OLG Frankfurt sowie zu weiteren Entwicklungen in Spruchverfahren aus dem Jahr 2019 verweisen wir auf Ruthardt/Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung - Entwicklungen im Jahr 2019 - Teil II: Ertragswertverfahren und Barwert der Ausgleichszahlungen, AG 2020, 322 sowie den umfassenden Beitrag zu Bewertungsmethoden in der Rechtsprechung von Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 12.

Zurück