Entwurf für „Wirecard-Folgen“-Gesetz vorgelegt
Mitte Oktober wurde ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz - FISG) veröffentlicht.
Der Referentenentwurf stellt eine Reaktion auf die Insolvenz des Zahlungsanbieters Wirecard und die hiermit verbundene öffentliche Kritik an der Abschlussprüfung des Unternehmens und der Finanzmarktaufsicht durch die BaFin dar. Der Gesetzesentwurf betont dabei ausdrücklich, dass Bilanzmanipulationen von Kapitalmarktunternehmen das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt erschüttern und ihm schweren Schaden zufügen.
Vor diesem Hintergrund sieht der Referentenentwurf grundlegende Reformen im Bereich der Abschlussprüfung, der Corporate Governance von (kapitalmarktorientierten) Unternehmen sowie der Finanzmarktaufsicht vor und erstreckt sich inhaltlich auf diverse Wirtschaftsgesetze. Die praxisrelevantesten Reformvorschläge des Entwurfs werden nachfolgend skizziert.
Stärker staatlich-hoheitlich geprägtes Bilanzkontrollverfahren
Reform & Regelungsort: Das derzeitige zweistufige, auf freiwillige Mitwirkung der geprüften Unternehmen ausgerichtete Bilanzkontrollverfahren soll grundlegend reformiert werden, hin zu einem stärker staatlich-hoheitlich geprägten Bilanzkontrollverfahren. Denn bei mutmaßlichen betrügerischen Strukturen auf internationaler Ebene habe sich eine Kontrolle auf rein privatrechtlicher Ebene auf der ersten Stufe als ungeeignet erwiesen. Vor diesem Hintergrund soll das Bilanzkontrollverfahren künftig vollständig im WpHG geregelt werden (§§ 107a-107c WpHG-E, S. 54 RefE).
Mehr Befugnisse für BaFin: Zudem sollen die Befugnisse der BaFin ausgeweitet werden, indem diese bei Verdacht von Bilanzverstößen direkt und unmittelbar mit hoheitlichen Befugnissen gegenüber Kapitalmarktunternehmen auftreten können soll. Hierzu erhält die BaFin gemäß dem Gesetzesentwurf
- ein Prüfungsrecht gegenüber allen kapitalmarktorientierten Unternehmen (§ 264d HGB) einschließlich Auskunftsrechte gegen Dritte,
- die Möglichkeit forensischer Prüfungen sowie
- das Recht, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen bei der Bilanzkontrolle zu informieren.
Ziel: Durch diese Kompetenzen werde der BaFin die Kontrolle über das Prüfungsgeschehen ermöglicht und sichergestellt, dass in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel zur Verfügung stehen. Bilanzkontrollen sollen auf diese Weise in Gänze schneller, transparenter und effektiver werden.
Stichproben- & Anlassprüfungen: Zwar soll auch künftig noch eine privatrechtlich organisierte Einrichtung zur Prüfung von Verstößen gegen Rechnungsunterlagen (sog. Prüfstelle) anerkannt werden. Allerdings wird die Prüfstelle nach dem Referentenentwurf künftig lediglich für Stichprobenprüfungen zuständig sein, während Anlassprüfungen (= Prüfungen aufgrund konkreter Anhaltspunkte) allein die BaFin einleiten kann. Solche Anlassprüfungen kann die BaFin in der Folge entweder selbst durchführen oder auf die Prüfstelle oder andere Einrichtungen übertragen. Die Prüfung auf Verlangen der BaFin (sog. Verlangensprüfung) wird abgeschafft.
Stärkere Unabhängigkeit der Abschlussprüfer
Externer Prüferrotation: Künftig soll für alle kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften (§ 264d HGB) eine verpflichtende externe Prüferrotation nach zehn Jahren geben. Dieser Grundsatz ist in der europäischen Abschlussprüferverordnung niedergelegt, wobei bislang durch eine öffentliche Ausschreibung die Höchstbestelldauer auf bis zu 24 Jahre verlängert werden konnte. Durch die externe Prüferrotation soll der Gefahr einer zu großen Nähe der Abschlussprüfer zu dem geprüften Unternehmen entgegengewirkt und die Unabhängigkeit von Abschlussprüfern gestärkt werden. Darüber hinaus würde nach dem Referentenentwurf künftig ein Gleichlauf mit den Pflichten zur externen Rotation bei Kreditinstituten und Versicherungen erzielt, bei denen schon heute grundsätzlich eine zehnjährige Höchstlaufzeit für Abschlussprüfungsmandate gilt.
Trennung von Prüfung & Beratung: Für Unternehmen von „öffentlichem Interesse“ (§ 316a S. 2 HGB n.F.) soll zudem die Pflicht zur Trennung von „Prüfung“ und „Beratung“ ausgeweitet werden. Unternehmen von öffentlichem Interesse werden definiert als kapitalmarktorientierte Unternehmen, bestimmte CRR-Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Dies kann als Reaktion auf die öffentliche Kritik verstanden werden, dass gerade die sog. „Big-4“ Prüfgesellschaften bei der Abschlussprüfung bisweilen Interessenkonflikten unterliegen können, weil sie auch in anderen Bereichen des Unternehmens beratend tätig sind bzw. sein wollen.
Schärfere Haftung der Abschlussprüfer: Darüber hinaus ist beabsichtigt, die zivilrechtliche Haftung der Abschlussprüfer bei Pflichtverletzungen künftig gegenüber dem geprüften Unternehmen zu verschärfen, indem die Haftungshöchstgrenzen von 1 Mio. Euro allgemein für die Abschlussprüfung auf 2 Mio. Euro heraufgesetzt wird und für die Prüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse künftig 20 Mio. Euro beträgt (S. 55 RefE, § 323 Abs. 2 HGB-E). Darüber hinaus sollen Abschlussprüfer künftig auch in Fällen grober Fahrlässigkeit der Höhe nach unbeschränkt haften. Die Berufung auf eine Haftungshöchstgrenze soll für den Abschlussprüfer außerdem nicht mehr möglich sein, wenn er selbst zwar einfach fahrlässig handelte, sein Gehilfe aber vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, und dieses Verhalten des Gehilfen dem Prüfer nach allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen zuzurechnen ist (S. 102 RefE).
Qualitätssteigerung oder Marktkonzentration? Ob die beabsichtige Anhebung der Haftungshöchstgrenzen zu einer Qualitätssteigerung der Abschlussprüfung beitragen kann oder nicht primär den Prozess beschleunigen würde, kleine und mittelständische Unternehmen weiter aus der Prüfung zu drängen, sollte kritisch hinterfragt werden. Schon seit einer Weile ist zu beobachten, dass immer weniger Prüfgesellschaften Unternehmen, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, prüfen wollen wegen der damit verbundenen zusätzlichen berufsrechtlichen Anforderungen die sich nur dann rechnen, wenn ein Abschlussprüfer regelmäßig solche Prüfmandate hat. Die Neuregelungen werden zu erhöhten Versicherungskosten für die Regelprüfung führen und damit aller Wahrscheinlichkeit auch zu einer weiteren Konzentration im Prüfermarkt.
Verschärfung des Bilanzstrafrechts
Straftatbestände: Im Bilanzstrafrecht soll durch gesetzliche Modifikationen eine erhöhte abschreckende Ahndung der Unternehmensverantwortlichen bei der Abgabe eines unrichtigen „Bilanzeids“ (künftig eigener Straftatbestand: § 331a HGB-E („unrichtige Versicherung“)) und der Abschlussprüfer bei Erteilung eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks zu Abschlüssen von Unternehmen von öffentlichem Interesse ermöglicht werden.
Ordnungswidrigkeiten: Im Bilanzordnungswidrigkeitenrecht werden zudem die Bußgeldvorschriften für Abschlussprüfer, die Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, inhaltlich ausgeweitet und der Bußgeldrahmen deutlich angehoben.
Angemessenes und wirksames internes Kontroll- und Risikomanagementsystem
Sorgfaltspflichten von Vorstand & Aufsichtsrat: In § 93 AktG soll künftig in einem neuen Abs. 1a eine Präzisierung der Sorgfaltspflicht für den Vorstand bei börsennotierten Unternehmen (= regulierter Markt) erfolgen. Demnach umfasst künftig die Sorgfaltspflicht des Vorstands bei derartigen Gesellschaften „auch die Einrichtung eines im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenen und wirksamen internen Kontrollsystems und Risikomanagementsystems.“ Durch die Klarstellungen „angemessenen“ und „wirksamen“ wird deutlich, dass der Vorstand künftig stärker noch als bislang, fortlaufend die Adäquanz des Kontrollsystems in Bezug auf die tatsächlichen Unternehmensumstände und die Effizienz des Compliancesystems überprüfen muss, um eine etwaige Haftung zu vermeiden. Gleiches gilt über den Verweis in § 116 AktG auch für den Aufsichtsrat des Unternehmens und dessen Kontrollpflichten. In der Begründung zum Referentenentwurf wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch bei nicht (im regulierten Markt) börsennotierten Unternehmen der Vorstand zu prüfen hat, ob die Einrichtung eines Risikomanagement- oder internen Kontrollsystems für das konkrete Unternehmen erforderlich und sinnvoll ist. Es wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gleiches (unabhängig von der Börsennotierung) für die Einrichtung von Compliance-Management-Systemen gilt – dies sei bei „größeren“ Unternehmen erforderlich.
Eigener Prüfungsausschuss: Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften, die zugleich ein Unternehmen von öffentlichem Interesse sind, müssen künftig zudem verpflichtend einen Prüfungsausschuss einrichten, der mit unmittelbaren Auskunftsrechten gegenüber dem Leiter der internen Kontrolle, dem Leiter des Risikomanagements und dem Leiter der Internen Revision ausgestattet wird (§ 107 Abs. 4 AktG-E). Durch einen gesetzlichen Verweis in § 324 Abs. 2 Satz 2 HGB-E auf § 100 Abs. 5 AktG soll zudem sichergestellt werden, dass im jeweiligen Prüfungsausschuss Sachverstand sowohl bezüglich der Rechnungslegung als auch der Abschlussprüfung vorhanden ist.
Höhere Qualität bei der Zulassung zu Börsen-Qualitätssegmenten
Ziel: Die Stärkung der Corporate Governance durch börsennotierte Gesellschaften wird flankiert durch Änderungen des Börsengesetzes (BörsG, Art. 2 des RefE). Hierdurch soll die Qualität der Zulassung von Unternehmen zu den qualifizierten Marktsegmenten der Börsen verbessert werden und Emittenten bei Verstößen aus den Qualitätssegmenten der Börsen einfacher ausgeschlossen werden können, wie etwa durch eine Erleichterung des Ausschlusses insolventer Emittenten (S. 52 RefE).
Mechanismus: Konkret soll durch eine Neufassung von § 42 BörsG klargestellt werden, dass ein Ausschluss aus einem Teilbereich des regulierten Marktes mit zusätzlichen Pflichten (z.B. Prime und General Standard der FWB) auch möglich ist, wenn eine Vorrausetzung für die Zulassung zu dem entsprechenden Teilbereich nicht mehr vorliegt. Wenn für den jeweiligen Teilbereich Voraussetzungen festgelegt wurden, die nicht nur im Zeitpunkt der Zulassung, sondern während der gesamten Dauer der Zulassung vorliegen müssen, ist ein Widerruf ohne weitere Fristsetzung durch die Geschäftsführung der Börse nach pflichtgemäßem Ermessen möglich (S. 83 RefE).
Fazit
Es ist zu vermuten, dass es im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens noch zu Anpassungen kommen wird. Bis zum 9. November 2020 besteht die Gelegenheit zum Referentenentwurf Stellung zu nehmen.
Die vorgesehenen Neuregelungen sind im Grundsatz zu begrüßen und können einen Beitrag dazu leisten, die Überwachung der Abschlussprüfung, die Corporate Governance sowie die Effektivität der Finanzmarktaufsicht zu fördern. Gleichwohl werden sich auch hierdurch betrügerische Handlungen von Unternehmen nicht gänzlich verhindern lassen. Daher sollte bei den vorgeschlagenen Neuregelungen aus Sicht der Praxis kritisch analysiert werden, wieweit hier Aufwand und potenzielle Vorteile im Verhältnis stehen. Erste sehr weitgehende Überlegungen im Vorfeld des Referentenentwurfs (etwa zur Schaffung einer Europäischen „SEC“) hatten dies nicht immer berücksichtigt und sind dann auch nicht in den Gesetzgebungsvorschlag eingeflossen (vgl. zusammenfassend und illustrativ zur Diskussion das Positionspapier des Deutschen Aktieninstituts zu Konsequenzen aus dem Fall Wirecard vom 2. Oktober 2020).
Sowohl Abschlussprüfer als auch die Unternehmensorgane werden infolge der öffentlichen Diskussionen rund um die Wirecard-Insolvenz künftig allerdings auch unabhängig von einer gesetzlichen Neuregelung unter besonderer Beobachtung – v.a. durch Stimmrechtsberater – stehen. Vorstände und Aufsichtsräte sollten daher in besonderem Maße auf die Einrichtung, stetige Aktualisierung und laufende Überwachung adäquater interner Kontrollsysteme (Compliance) achten, um etwaige Haftungsrisiken und kritische Nachfragen auf Hauptversammlungen zu vermeiden.