Neues zum Hinweisgeberschutzgesetz: Geplante Umgehung der Länderkammer vorerst gescheitert
Am 10.2.2023 scheiterte das vom Deutschen Bundestag am 16.12.2022 beschlossene Hinweisgeberschutzgesetz im Bundesrat. Danach war für wenige Wochen unklar, wie es mit der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht weitergehen würde. Sollte sich das Gesetzgebungsverfahren für längere Zeit hinziehen? Oder sollte ein schneller Vorschlag zur Güte folgen (dazu Rempp, Blog Gesellschaftsrecht v. 14.2.2023) – etwa in Form einer konsensfähigen Minimal-Umsetzung, die sich möglichst nahe an den Anforderungen der Richtlinie bewegt, um so dem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission wegen fehlender Richtlinien-Umsetzung zeitnah zu begegnen?
Diese und weitere Möglichkeiten wären denkbar gewesen, wenn etwa jemand den Vermittlungsausschuss angerufen hätte. "Na und?", dachte sich indessen die Regierungskoalition. So folgten zwei Fraktionsentwürfe, mittels derer das bis dato bestehende Zustimmungserfordernis des Bundesrates weitgehend ausgehebelt worden wäre. Nun ist die geplante Umgehung der Länderkammer vorerst gescheitert. Die für den 30.3.2023 anberaumte zweite und dritte Lesung im Deutschen Bundestag wurde kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Doch erst noch einmal drei Schritte zurück …
Aus einem Regierungsentwurf wurden zwei Fraktionsentwürfe: Ein Coup der Regierungskoalition?
Am 13.3.2023 wurde bekannt, welchen Coup die Regierungskoalition landen wollte. Aus einem Regierungsentwurf wurden zwei Fraktionsentwürfe (BT-Drucks. 20/5992 und BT-Drucks. 20/5991), welche – anders als Regierungsentwürfe – nicht erst dem Bundesrat zuzuleiten sind, bevor sie dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden können (s. Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG).
Der eine Fraktionsentwurf, der weitestgehend dem im Bundesrat gescheiterten Regierungsentwurf entspricht, sollte auch nach der Verabschiedung im Deutschen Bundestag nicht in den Bundesrat müssen. In der Begründung heißt es, der Entwurf verzichte auf jene Regelungen, die einst die Zustimmungsbedürftigkeit begründet hätten (BT-Drucks. 20/5992, S. 3). Konkret sollten Landesbeamte & Co. vom persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden. Außerdem sollten Äußerungen von Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen, nur dann vom sachlichen Anwendungsbereich erfasst sein, wenn es sich um Äußerungen von Bundesbeamten handelt.
Klar ist, dass die EU-Whistleblower-Richtlinie damit nur unvollständig umgesetzt wäre. So kam der zweite Fraktionsentwurf ins Spiel. Zur vollständigen Umsetzung sei – so die Begründung des Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz – eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs auf den Personenkreis erforderlich, der zuvor ausgenommen wurde (BT-Drucks. 20/5992, S. 4). Auch die vorgenannte Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs sollte durch das Ergänzungsgesetz zurückgedreht werden.
Erste Lesung und Anhörung im Rechtsausschuss: Zweifel am Gesetzgebungsverfahren
Am 17.3.2023 fand die erste Lesung im Deutschen Bundestag statt. Die Empörung über die Aufteilung in zwei Gesetzesentwürfe war auf Seiten der Opposition freilich groß. So wurde argumentiert, dass die Zustimmungsbedürftigkeit trotz dieser Aufteilung bestehen bleibe – zum einen, weil notwendigerweise Zusammengehörendes auseinandergerissen werde, zum anderen, weil sich das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates auch aus anderen Normen als Art. 74 Abs. 2 GG ergebe (Plenarprotokoll 20/92, S. 11096).
Am 27.3.2023 passierten die Fraktionsentwürfe sodann den Rechtsausschuss. Inhaltlich ging es bei der Anhörung zum einen um jene Aspekte, die bereits im Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf behandelt worden sind, etwa um zusätzliche Belastung der Unternehmen, anonyme Meldungen und die Zentralisierung von Meldekanälen. Zum anderen wurde aber auch hier die Aufspaltung in zwei Gesetzesentwürfe kritisiert. Prof. Dr. Winfried Kluth und Prof. Dr. Gregor Thüsing meldeten ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Weges an und legten dar, weshalb sich die Regierungsfraktionen mit der möglichen Verfassungswidrigkeit dieses Weges befassen sollten.
Zweite und Dritte Lesung: Kurzfristig von der Tagesordnung genommen
Am 30.3.2023 sollte der Deutsche Bundestag das von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP eingebrachte Hinweisgeberschutzgesetz sowie das Ergänzungsgesetz nach zweiter und dritter Lesung beschließen. Erst am Nachmittag des 30.3.2023 wurde bekannt, dass das Hinweisgeberschutzgesetz und das Ergänzungsgesetz von der Tagesordnung genommen worden sind. Hierauf hätten sich die Fraktionen im Ältestenrat verständigt.
Was waren wohl die Gründe für diese Entscheidung? Im weiteren Verlauf wäre das Hinweisgeberschutzgesetz im Bundesgesetzblatt verkündet worden, wohingegen das Ergänzungsgesetz den Weg in den Bundesrat genommen hätte. Hätte es sich dabei um einen Coup oder doch um einen Bärendienst gehandelt?
Es hätten Risiken in zweierlei Hinsicht bestanden. Über dem Hinweisgeberschutzgesetz, das als nächstes im Bundesgesetzblatt verkündet worden wäre, hätte zum einen das "Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit" geschwungen – so die Formulierung von Prof. Dr. Thüsing. Zum anderen wäre mit Blick auf das Ergänzungsgesetz aber auch noch lange nicht klar gewesen, ob der Bundesrat dieses einfach durchgewunken hätte.
Eine erneute Blockade des Bundesrates in diesem Verfahrensstand hätte bedeutet, dass die EU-Richtlinie bis zu einer irgendwann gefundenen Lösung nur unvollständig umgesetzt worden wäre – ein eher unbefriedigendes Ergebnis. Sie hätte zudem bedeutet, dass im Bereich des Hinweisgeberschutzes in der Übergangsphase ein "Zwei-Klassen-Recht" bestanden hätte. Hiervor warnte die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, Kosmas Zittel, bereits in der Anhörung im Rechtsausschuss. Es hätte nicht zuletzt aber auch so weit kommen können, dass über eine Blockadehaltung im Bundesrat versucht worden wäre, weitere Änderungen des Hinweisgeberschutzgesetzes herbeizuführen. Die Aufspaltung in zwei Gesetzesentwürfe wäre wieder zurückgedreht worden.
Erneut mein Vorschlag zur Güte
Nun ist wieder völlig unklar, wie es mit der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht weitergehen wird. So wird der Vorschlag zur Güte (dazu Rempp, Blog Gesellschaftsrecht v. 14.2.2023) wieder aktuell: Es könnte eine 1:1-Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie erfolgen, um später den Nacharbeitungsbedarf auf Basis praktischer Erfahrungen zu ermitteln. Los geht’s.
Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.