Say on Climate
ESG als globaler Trend
Der Klimaschutz nimmt in der gesellschaftlichen Diskussion einen immer größeren Stellenwert ein und macht auch vor dem Aktienrecht nicht halt. Unter anderem in Investorenkreisen war der Trend zu mehr „Environmental, Social, Governance“ (ESG) zuletzt unverkennbar. So ließ der US-Hedgefonds Engine No. 1 aufhorchen, als er in einer erfolgreichen Kampagne das Energieunternehmen Exxon zu einer verstärkt nachhaltigkeitsorientierten Strategie drängte (s. dazu etwa Döding, AG 2021, R249). Stimmrechtsberater wie Glass Lewis oder Institutional Shareholder Services (ISS) gehen dazu über, ESG-Themen in ihre Empfehlungen einzubeziehen. Mittlerweile schließen sich weltweit Investoren zusammen, um mit gemeinsamer Stimme einen klimaschutzbezogenen Transformationsprozess in der Wirtschaft zu fordern. Genannt seien etwa die „Say on Climate“-Initiative in den USA, die „Institutional Investors Group on Climate Change“ (IIGCC) in Europa, die „Investor Group on Climate Change“ (IGCC) in Australien und Neuseeland und die „Asia Investor Group on Climate Change“ (AIGCC). Die IIGCC, die IGCC, die AIGCC und die Ceres bilden die „Global Investor Coalition on Climate Change“ (GIC).
All diese Initiativen haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen möchten sie wissen, welche Maßnahmen das Management der Portfoliogesellschaften ergreift, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zum anderen wollen sie, dass die Aktionäre hierüber abstimmen und auf diese Weise ihre Meinung zu den Klimaschutzmaßnahmen kundtun können. Erste Unternehmen haben den Forderungen der ESG-orientierten Investoren bereits entsprochen und ihre Klimaschutzpolitik proaktiv auf die Agenda der Aktionärstreffen gesetzt. Die Vorreiterrolle spielen die Royal Dutch Shell plc und die Nestlé AG, die 2021 die „Energy Transition Strategy 2021“ bzw. den „Nestlé Klima Aktionsplan“ ihren Aktionären zur Abstimmung vorgelegt haben. Die Aktionäre von Shell und Nestlé haben die Pläne daraufhin jeweils positiv beschieden.
Diese Entwicklungen auf den internationalen Kapitalmärkten provozieren für den deutschen Rechtsraum zwei Fragen: Können sich die Aktionäre über die Emissionen ihrer Unternehmen sowie die Pläne zu deren Reduktion informieren? Und gibt die Rechtsordnung Aktionären Raum für ein Say on Climate?
Informationen über die Klimaschutzmaßnahmen
Der Forderung, von den Gesellschaften über deren Klimaschutzpolitik informiert zu werden, wird im europäischen Rechtsraum durch die Pflicht zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung bereits weitgehend Rechnung getragen. Die nichtfinanziellen Erklärungen der DAX40-Gesellschaften zeigen, dass deutsche Aktiengesellschaften rege über ihre Klimaschutzanstrengungen informieren. Diese Versorgung des Kapitalmarkts mit Informationen über die Klimaschutzanstrengungen dürfte in Zukunft noch verbessert werden, wenn Art. 8 Taxonomie-VO und die delegierten Rechtsakte Anwendung finden und die Bilanzrichtlinie im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie von der EU-Kommission vorgeschlagen reformiert wird. Zudem haben die Aktionäre die Möglichkeit, die Klimapolitik der Gesellschaft auf der Hauptversammlung im Rahmen des Rede- und Auskunftsrechts nach § 131 AktG zu erörtern.
Votum der Aktionäre über die Klimaschutzmaßnahmen
Komplexer liegen die Dinge mit Blick auf die Möglichkeiten eines Say on Climate. Die alljährliche Beschlussfassung über die Entlastung (§ 120 AktG) gibt den Aktionären zwar die Möglichkeit, über die Tätigkeit der Verwaltung zu urteilen. Das von den Initiativen anvisierte einheitliche und zielgenaue Say on Climate der Anteilseigner lässt sich hiermit jedoch nicht verwirklichen. Umgekehrt schießt die Möglichkeit des Vorstands, der Hauptversammlung seine Klimaschutzmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG zur Entscheidung vorzulegen, insofern über das Ziel hinaus, als die Hauptversammlung hierdurch nicht zu einer bloßen Stellungnahme, sondern zu einer den Vorstand bindenden Sachentscheidung veranlasst wird.
A maiore ad minus gestattet die herrschende Auffassung im Schrifttum dem Vorstand freilich auch, die Hauptversammlung um eine für ihn unverbindliche Beschlussfassung zu konsultieren (sog. Konsultationsbeschluss). Eine solche Vorlage muss allerdings – wie auch eine Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG – dem Gesellschaftswohl entsprechen. Dabei muss der Vorstand bedenken, dass nicht abschließend geklärt ist, inwieweit ein Konsultationsbeschluss im Rahmen eines Beschlussmängelstreits am Maßstab der Treuepflicht inhaltlich kontrolliert werden kann und daher im Nachgang zu einer solchen Beschlussfassung eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung über die Klimapolitik der Gesellschaft drohen kann, die die Gesellschaft in ein schlechtes Licht stellt. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Justiziabilität vom Gesetz jedenfalls nur für Say-on-Pay-Beschlüsse (§ 120a Abs. 1 Satz 3 AktG). Als weitere Option attraktiv scheint daher eine beschlusslose Hauptversammlungskonsultation dergestalt, dass der Vorstand die Hauptversammlung darum ersucht, über Klimaschutzmaßnahmen der Gesellschaft zu beraten und gegebenenfalls im Wege einer Art Probeabstimmung eine Meinung hierzu zu bilden.
Wird der Vorstand nicht aktiv, stellt sich für die klimaschutzinteressierten Aktionäre die Frage, inwieweit sie imstande sind, ein Say on Climate zu erzwingen. Jedenfalls nicht statthaft ist ein Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 2 AktG, das inhaltlich darauf ausgerichtet ist, einen Beschluss in Klimaschutzangelegenheiten zu fassen (sog. Meinungsbeschluss). Ein solches Vorgehen stünde im Widerspruch zur aktienrechtlichen Kompetenzordnung, nach der die Hauptversammlung nur auf Verlangen des Vorstands zu Geschäftsführungsfragen Beschluss fassen kann. Weniger starken Bedenken ausgesetzt ist die Annahme, dass eine qualifizierte Aktionärsminderheit die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 AktG um beschlusslose Tagesordnungspunkte zur Klimapolitik des Unternehmens ergänzen kann: Die Aktionäre können die Klimapolitik der Gesellschaft wie sonstige wesentlichen Fragen der Geschäftsführung ohnehin mit Hilfe des Rede- und Auskunftsrechts zum Gegenstand der Hauptversammlung machen. Wegen der faktischen Prägekraft einer Probeabstimmung sowie der Gefahr, dass die Hauptversammlung überfrachtet wird, lassen sich die Einwände gegen die Zulässigkeit eines solchen Ergänzungsverlangens aber nicht vollends aus der Welt schaffen.
Mehr zum Say on Climate in AG 2021, 853.