Empirische Forschung zur Verbraucherschlichtung
Ko-Autor: Dr. Felix Steffek, LL.M. (Cambridge), University of Cambridge
In Heft 2/219 der ZKM stellen wir erste Ergebnisse unserer empirischen Forschung zur Verbraucherschlichtung vor. Das Forschungsprojekt begleitet die Funktionsweise der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle am Zentrum für Schlichtung e.V. in Kehl. Die Studie wurde vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in Auftrag gegeben. Das empirisch angelegte Forschungsvorhaben hat eine Laufzeit von vier Jahren (2017-2020). Gemäß § 43 Abs. 3 Hs. 2 VSBG war dem Bundestag und dem Bundesrat bis zum 31.12.2018 ein Zwischenbericht vorzulegen. Der „Zwischenbericht zur Funktionsweise der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle“ ist hier abrufbar: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/068/1906890.pdf.
Das Forschungsprojekt soll einen Beitrag zur zukünftigen Ausgestaltung der Verbraucherstreitbeilegung in Deutschland leisten. Die politischen Rahmenbedingungen dafür haben sich seit Erlass des VSBG allerdings geändert. Nach der ursprünglichen Konzeption in § 29 Abs. 2 VSBG können die Länder von der Einrichtung von Universalschlichtungsstellen auf Länderebene absehen, wenn ein ausreichendes Schlichtungsangebot besteht. Ein solches ausreichendes Schlichtungsangebot ist durch die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle in Kehl zumindest bis zum Auslaufen der Förderung durch das BMJV am 31.12.2019 sichergestellt. Für die Zeit danach begannen die Länder mit der Vorbereitung auf die Einrichtung von Universalschlichtungsstellen gemäß § 29 Abs. 1 VSBG. Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien am 12.03.2018 beschlossen, dass die allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle dauerhaft zentral vom Bund getragen wird. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung am 17.04.2019 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze“ veröffentlicht. Dort ist unter anderem die Übertragung der ergänzenden Verbraucherschlichtung auf den Bund vorgesehen.
Das Forschungsvorhaben beruht auf vier Datenquellen: öffentlich zugänglichen Informationen, von der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle erhobenen Statistiken, von den Parteien des Schlichtungsverfahrens beantworteten Fragebögen und ergänzend geführten Interviews mit Beteiligten und interessierten Personen. Seit Beginn der Tätigkeit der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle am 01.04.2016 bis zum Datenstichtag des Zwischenberichts am 31.07.2018 wurden insgesamt 4.117 Verfahren beantragt. Im Rahmen unserer Studie haben wir vom 01.08.2017 bis zum 31.07.2018, 1.300 Verbraucher und 754 Unternehmer gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Darauf haben 248 Verbraucher und 23 Unternehmer geantwortet. Soweit nicht anders vermerkt beziehen sich die Angaben in dieser Zusammenfassung daher auf den Jahreszeitraum 01.08.2017 bis 31.07.2018. In diesem Zeitraum stellten 2.217 Verbraucher einen Antrag auf Schlichtung.
Die Verbraucher treten vor allem mit Konflikten aus den Bereichen Waren für Verbraucher, Dienstleistungen im Freizeitbereich, Finanzdienstleistungen, Allgemeine Dienstleistungen, Postdienste und elektronische Kommunikation an die Stelle heran. Als wichtigste Ziele nennen die Antragsteller die Lösung des Problems (86 %), eine finanzielle Kompensation (77 %) und recht zu bekommen ohne dabei Kosten einzugehen (70 %). Als Wert der Streitigkeit geben die Verbraucher in 78 % der Fälle einen Betrag zwischen 0 und 500 Euro an. Einen Konfliktwert zwischen 500 und 1.000 Euro nennen 9 % der Verbraucher. Es geht also um Konflikte mit einem eher geringeren monetären Streitwert.
Zur Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle finden die Verbraucher im Wesentlichen durch eigene Recherche im Internet (42 %) oder aufgrund von Informationen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf der Webseite des Unternehmers (21 %). Weitere 15 % der Verbraucher wurden von den Unternehmern auf die Allgemeine Schlichtungsstelle hingewiesen. In zusammengenommen 36 % der Fälle kam die relevante Information also von Seiten des Unternehmers. Diese Zahl ermöglicht eine erste Evaluierung der neu geschaffenen Informationspflichten der Unternehmer in §§ 36 und 37 VSBG.
Im Zeitraum 01.04.2016 bis 31.12.2016 waren 33 % aller Anträge unzulässig (11 % aller Anträge wegen Unzuständigkeit der Stelle). Im Zeitraum 1.1.2017 bis 31.12.2017 sank die Zahl unzulässiger Anträge auf 20 % (8 % aller Anträge wegen Unzuständigkeit). Bemerkenswert ist daran erstens die hohe Quote unzulässiger Anträge und zweitens die Abnahme des Anteils unzulässiger Anträge um 13 Prozentpunkte. Für die Parteien scheint es in einer erheblichen Zahl von Fällen nicht leicht zu sein, die richtige Schlichtungsstelle mit den notwendigen Antragsinhalten anzusprechen. Im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts wird zu beobachten sein, ob die zunehmende Vertrautheit der Verbraucher mit der Verbraucherschlichtung zu einem weiteren Absinken der Verweisungs- und Ablehnungsquoten führt.
Die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle bildet mit anderen Schlichtungsstellen ein informelles Netzwerk, in dem die Nutzer auf den richtigen Weg verwiesen werden. Diese Verweisungen erfolgen gegenwärtig jedoch ohne ausdrückliche Regelung im VSBG. Die Verweisungen beschränken sich zudem auf Verweisungen unter den Schlichtungsstellen. Es handelt sich also nicht um ein Konfliktscreening, in dem die Geeignetheit für andere Verfahrenstypen wie die Mediation oder das Gerichtsverfahren geprüft wird.
Das Schlichtungsverfahren ist für die Parteien nicht zwingend. Sie haben die Gelegenheit zur Stellungnahme und können der Schlichtungsstelle Dokumente zukommen lassen. Die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle ist neutral. Kern des Verfahrens ist die durch Streitmittler durchgeführte Schlichtung, die auch offen für mediative Elemente ist. Technik kommt nur zur Unterstützung der Tätigkeit der Streitmittler zum Einsatz, wird jedoch nicht zur Lösungsfindung selbst eingesetzt.
Sowohl die Verbraucher (61 %) als auch die Unternehmer (67 %) sind mit dem Verfahren klar überwiegend zufrieden. Etwa ein Viertel beider Gruppen, nämlich 26 % der Verbraucher und 22 % der Unternehmer sind mit der Verfahrensführung nicht zufrieden. Für den Abschlussbericht ist die statistische Auswertung der Frage vorgesehen, ob die Verfahrenszufriedenheit mit dem Verfahrensergebnis zusammenhängt.
Verbraucher und Unternehmer attestieren der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle durchweg hohe Kompetenzwerte: eine neutrale Stellung schätzen 91 % der Verbraucher und 78 % der Unternehmer; 90 % der Verbraucher und 78 % der Unternehmer fühlen sich ernstgenommen; ein zutreffendes Problemverständnis erfuhren 85 % der Verbraucher und 67 % der Unternehmer; 85 % der Verbraucher und 67 % der Unternehmer halten die Stelle für kompetent und schließlich vertrauen 85 % der Verbraucher und 78 % der Unternehmer der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle in Kehl.
Im Zeitraum 01.08.2017 bis 31.07.2018 wurden 2.210 Anträge formal abgeschlossen. In 1.929 Fällen (87 %) kam es weder zu einer vollständigen Verfahrensdurchführung noch zu einer Einigung außerhalb des Verfahrens. Bei strikter Betrachtung kam es nur in 19 Fällen, also rund 1 % aller Anträge, zu einer vollständigen Verfahrensdurchführung in dem Sinne, dass wechselseitige Stellungnahmen ausgetauscht wurden und das Verfahren nicht vorzeitig beendet wurde. Zu einem Schlichtungsvorschlag samt Einigung kam es nur in 13 Verfahren.
Formal erfolgreich im Sinne einer Einigung innerhalb oder außerhalb des Verfahrens waren im relevanten Zeitraum 281 Fälle (12,7 %). Lässt man allerdings die 508 Anträge außer Betracht, in denen die Stelle nicht tätig werden kann (etwa wegen Unzulässigkeit), ergibt sich eine angepasste Ausgangszahl von 1.702 abgeschlossenen und grundsätzlich schlichtungsgeeigneten Fällen. Auf dieser Grundlage steigt die formale Erfolgsquote auf 16,5 %.
Bei der bisherigen Berechnung der formalen Erfolgsquote ist die große Zahl von 1.402 Verfahren, in denen sich der Unternehmer nicht am Verfahren beteiligt, zu Lasten der Quote mitberücksichtigt. Die Unternehmerbeteiligung ist insbesondere deshalb niedrig, weil es sich um ein freiwilliges, aber für Unternehmer kostenpflichtiges Verfahren handelt. Lässt man diese 1.402 Fälle mangelnder Unternehmerbeteiligung zudem außer Betracht, ergibt sich eine qualifiziert angepasste Ausgangszahl von 300 Verfahren. Auf dieser Grundlage ergibt sich bei 281 formal erfolgreichen Verfahren eine Erfolgsquote von 93,7 %.
Die bisher vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass sich die Verbraucherschlichtung in der Praxis bewährt und einen niedrigschwelligen Zugang zur Konfliktlösung ermöglicht. Die geringe Teilnahmebereitschaft auf Seiten der Unternehmer wirft die Frage auf, warum diese oft ein Verfahren ablehnen, dessen Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit die klare Unternehmermehrheit schätzt und das im Vergleich zum Gerichtsverfahren als einfacher, schneller und kostengünstiger geschätzt wird.
Das Forschungsvorhaben wird während seiner Laufzeit nach gegenwärtigem Stand des Regierungsentwurfs zur Reform der außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbrauchersachen den Übergang der ergänzenden Verbraucherschlichtung auf den Bund und den Beginn der Tätigkeit einer bundesweiten Universalschlichtungsstelle ab 1. Januar 2020 mitverfolgen. Allein dieser Umbruch bietet die Chance auf neue empirische Einsichten. Darüber hinaus werden die bis zum Abschluss der Forschung zum 31. Dezember 2020 erhobenen weiteren Daten neue Erkenntnisse ermöglichen. Insbesondere ist geplant, mit statistischen Korrelationsverfahren ein besseres Verständnis der Verbraucherschlichtung dadurch zu gewinnen, dass bisher unverbundene Datengruppen miteinander in Beziehung gesetzt werden.