Große und komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten in der Mediation
Co-Autoren: Dr. Nicola Grau Vorsitzende Richterin am LG München I und Güterichterin
Johannes Brose Vorsitzender Richter am LG München II, Güterichter Lehrbeauftragter an der LMU München
Verfahren der alternativen Streitbeilegung haben auch in großen Wirtschaftskonflikten an Bedeutung gewonnen. Insbesondere nutzen Akteure im Wirtschaftsleben die Mediation als Instrument der Konfliktbereinigung wegen ihrer Ausrichtung auf die Interessen mit der Option, Lösungen jenseits der nach den einschlägigen Rechtsgrundlagen beanspruchbaren Positionen auszuhandeln.
Komplexe Streitigkeiten mit einem primär operativ-wirtschaftlichen oder unternehmensinternen Hintergrund sind mit besonderen Herausforderungen verbunden. Insbesondere hängt eine für alle Seiten akzeptable und umsetzbare Lösung nicht selten von dem Einverständnis einer Vielzahl an Beteiligten ab; selbst Vereinbarungen mit hohem Wertschöpfungspotential haben keinen praktischen Nutzen, wenn diese nicht von all denjenigen mitgetragen werden, deren Mitwirkung bei der Umsetzung erforderlich ist. Wenn die streitigen Fragen grundlegende Unternehmensstrukturen oder Geschäfte von existentieller Bedeutung betreffen, werden auch formal entscheidungsbefugte Organe (Geschäftsführer oder Vorstände) nicht zustimmen, ohne zuvor diejenigen einbezogen zu haben, die wirtschaftlich betroffen sind (z. B. Muttergesellschaften, Gesellschafter) oder diese vertreten (z. B. Aufsichtsräte).
In Bezug auf bestimmte Streitkomplexe wegen ihrer Sachkompetenz zur Verhandlung entsandte Vertreter können ganz andere Interessen haben als das dahinterstehende Unternehmen; so kann beispielsweise für einen Abteilungsleiter, der den Abschluss eines streitauslösenden Geschäfts zu verantworten hat, eine streitige Entscheidung – ggf. auch zum Nachteil seines Unternehmens – entlastender sein, als eine zeitnahe und wirtschaftlich sinnvolle Lösung; eine ursprüngliche Fehleinschätzung einzuräumen, kostet mehr Überwindung als die gerichtliche Feststellung der Verantwortlichkeit viele Jahre später – schließlich kann sich auch ein Gericht irren; möglicherweise ist die Unternehmensführung bis dahin ausgetauscht oder der Abteilungsleiter ist weiter befördert oder schon im Ruhestand.
Zuletzt spielen oft auch in komplexen Wirtschaftskonflikten Emotionen eine große Rolle. Das gilt selbstredend bei unternehmensinternen Generationenkonflikten, oft aber auch bei Streitigkeiten zwischen zwei Unternehmen, die ursprünglich nur auf einer geschäftlichen Ebene miteinander verbunden waren.
Eine effektive Unterstützung der Parteien bei der Lösungsfindung setzt voraus, dass den mit dieser Komplexität verbundenen Herausforderungen Rechnung getragen wird. Regelmäßig bedarf es einer ausführlichen Phase der Vorbereitung – oft bereits hier in Form von vertrauensbildenden Einzelgesprächen. Das Thema der Vertraulichkeit spielt nicht selten eine große Rolle. Der gesamte Verhandlungsprozess bedarf einer Strukturierung in Bezug auf sowohl die Reihenfolge der Themen wie auch auf das Setting, insbesondere die Entscheidung, welche der involvierten Personen in welcher Phase der Gespräche hinzugezogen werden. Es empfiehlt sich, Zwischenergebnisse transparent zu kommunizieren und für die weiteren Gespräche festzuhalten. Zudem ist es sinnvoll, immer wieder die Lage an Hand der Gesprächsergebnisse neu zu bewerten und das Setting anzupassen.
Hieraus leiten sich unsere Kernthesen ab:
- Herausforderungen
- Vielzahl der Beteiligten
- Vielzahl der z. T. gegenläufigen Interessen
- Emotionale Konflikttreiber
- Empfehlungen für das Vorgehen
- Ausführliche Phase der Vorbereitung incl. Vertraulichkeitsvereinbarung
- Überlegte Strukturierung in Bezug auf
- Reihenfolge der Themen
- Setting bzgl. der beteiligten Medianden
- Festhalten von Zwischenergebnissen
- Ständige Neubewertung der Lage und Anpassung des Settings
Ausführlich setzen wir uns mit den Besonderheiten komplexer Wirtschaftsstreitigkeiten in einer Veröffentlichung "Mediation in großen Wirtschaftskonflikten" in der aktuellen Ausgabe der ZKM auseinander, nachzulesen in ZKM 5/2021, 168 ff.