20.04.2020

Konflikte gehen nicht in Quarantäne - Lassen sich Mediations- und Schiedsverfahren auch online effizient führen?

Portrait von Dr. Andreas Hacke
Dr. Andreas Hacke RA, Schiedsrichter und Mediator, Zwanzig Hacke Meilke & Partner

Konflikte gehen nicht in Quarantäne. Eher im Gegenteil. Die COVID-19-Pandemie belastet zahlreiche bisher konfliktfreie Geschäfts- und Vertragsbeziehungen mit plötzlich auftretenden, teils massiven Konflikten. Leistungs- und Lieferbeziehungen werden gestört, die Erfüllung vieler Verträge ist unmöglich geworden oder erschwert, Parteien versuchen, vertraglichen Bindungen zu entkommen oder diese zumindest zu lockern. Dabei ist die Liquidität vieler Unternehmen und Unternehmer angespannt, was eine schnelle Konfliktlösung besonders wichtig macht.

Zugleich begrenzt die COVID-19-Pandemie aber die Möglichkeiten, Konflikte in gewohnter Form zügig beizulegen. Persönliche Verhandlungen sind infolge der Kontakt- und Reisebeschränkungen erschwert. Viele Gerichtstermine sind einstweilen abgesagt. Begonnenen Mediations-, Schieds- und Gerichtsverfahren droht mangels Verhandlungstermin der Stillstand.

Das wirft die – freilich nicht erst zu Corona-Zeiten diskutierte – Frage nach den Möglichkeiten einer effizienten Führung von Mediations- und Schiedsverfahren durch die Nutzung von online Videokonferenzen in besonderer Schärfe neu auf.

Die Technik ist vorhanden

Nach einigen Wochen des lockdowns bedarf es wohl keiner größeren Ausführungen dazu, dass die technische Infrastruktur zur Durchführung von online Videoverhandlungen vorhanden ist und funktioniert. Die gängigen Anbieter wie Microsoft Teams, Skype, Webex, Zoom und viele andere bieten leicht zugängliche Möglichkeiten, Videokonferenzen auch mit vielen Teilnehmern abzuhalten, Teilgruppen in separaten virtuellen Räumen vertraulich sprechen zu lassen und Verfahrensdokumente an einem zentralen Ort für alle Beteiligte online zugänglich zu halten und gemeinsam am Bildschirm zu betrachten oder sogar gemeinsam an diesen zu arbeiten. Diese Technik steht auch den Beteiligten an Mediations- und Schiedsverfahren zur Verfügung. Es stellt sich somit die Frage, ob und wie sie sie für ihre Zwecke nutzen sollten.

Online ist anders als offline

Selbstverständlich kann eine online durchgeführte Verhandlung eine Verhandlung unter persönlicher Anwesenheit der Beteiligten nicht „1 zu 1“ ersetzen. Kritische Stimmen weisen oft auf die Defizite hin: Häufig genannt werden der mangelnde persönliche Austausch und die fehlende Gruppendynamik, das Fehlen eines unmittelbaren persönlichen Eindrucks von Parteien und Zeugen unter Einschluss körpersprachlicher Signale, technische Unzulänglichkeiten wie instabile Internetverbindungen und nicht zuletzt Sicherheits- und Vertraulichkeitsrisiken. Das sind valide Argumente. Zugleich bieten online Verhandlungen aber auch manche Vorteile: einfache Verfügbarkeit; kein Reise- und sonstiger Kostenaufwand, dadurch bedingt eine häufig einfachere und schnellere Terminfindung, konzentriertes Arbeiten an für alle gleich gut sichtbaren Dateien und Dokumenten, Arbeiten in für jeden Beteiligten gewohnter Umgebung.

Eine online geführte Verhandlung ist somit nicht per se besser oder schlechter als eine offline geführte Verhandlung. Sie ist anders. Ihre Gestaltung gelingt dann, wenn sie dieser Andersartigkeit Rechnung trägt.

Kein „ganz oder gar nicht“

Die Verfügbarkeit von online Verhandlungen bedeutet nicht, dass deshalb Mediations- oder Schiedsverfahren vollständig (oder umgekehrt gar nicht) online durchgeführt werden sollten. Sie stellen lediglich ein weiteres Werkzeug dar, das in unterschiedlichem Maße für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden kann. So ist es denkbar, nur einzelne Teile eines Verfahrens online durchzuführen, daneben aber weiter auch persönliche Verhandlungstermine zu nutzen. Online können zum Beispiel gut vorbereitende Besprechungen und Verfahrenskonferenzen mit den Parteien geführt werden. In Mediationsverfahren mag sich diese Form zudem auch für Einzelgespräche zwischen dem Mediator und nur einer Partei oder für Teilgruppengespräche zwischen den Anwälten beider Parteien und dem Mediator anbieten. In Schiedsverfahren mag es sinnvoll sein, einzelne Sachverständige oder Zeugen in dieser Form in das Verfahren einzubeziehen, wenn diese nur einzelne Aspekte des Verfahrens berühren oder von weit her anreisen müssten. Auch bieten sich in Schiedsverfahren online Besprechungen mit der Möglichkeit der simultanen Arbeit an Dokumenten besonders für die Beratungen innerhalb des Schiedsgerichts und für die Arbeit an Verfügungen oder an einem Schiedsspruch an.

Planen und testen

Noch immer sind viele Beteiligte nicht vollständig vertraut mit der Nutzung von online Videokonferenzen. Daraus speist sich eine gewisse Skepsis. Diese ist umso größer, wenn es sogleich mit der ersten Nutzung „ernst“ werden soll, Premiere und Generalprobe also gewissermaßen zusammenfallen. Mediatoren und Schiedsrichter, die Teile ihres Verfahrens online durchführen wollen, sind daher gut beraten, den Beteiligten genügend Gelegenheit zu geben, die Technik gemeinsam kennen zu lernen und zu testen. Je mehr diese dabei die Erfahrung machen, dass es funktioniert, umso größer wird das Zutrauen. Das Testen kann in unterschiedlichen Formen erfolgen: Bewährt haben sich vor einem ersten Einsatz echte, reine Test-Sessions, in denen die Beteiligten ausschließlich zum Zwecke des Ausprobierens zusammenkommen. Dafür genügen oft wenige Minuten. Sodann ist es hilfreich, für einen ersten echten Einsatz Anlässe zu wählen, die verglichen mit anderen Anlässen eher risikoarm sind, so dass ein Scheitern keine gravierenden Auswirkungen auf das Verfahren insgesamt hätte. In Mediations- und Schiedsverfahren bieten sich hierfür Organisationsbesprechungen („Case Management Konferenzen“) besonders an. Schließlich ist es sinnvoll, auch vor jedem „echten“ Einsatz noch einmal kurz das technische Funktionieren an dem jeweiligen Tag zu testen. Das erlaubt, technische Schwierigkeiten noch kurzfristig zu beheben oder notfalls auf andere Formen der Verfahrensführung auszuweichen.

Verfahrensgestaltung

Die unterschiedliche Form von online Besprechungen und Verhandlungen bedingt eine in Teilen andere Gestaltung von Mediations- und Schiedsverfahren.

Terminierung

Persönliche Verhandlungen sind wegen der dazu erforderlichen Anreise zahlreicher Beteiligter an einen gemeinsamen Ort oft nur effizient, wenn hierfür ein längerer, zusammenhängender Zeitraum reserviert wird. Denn nur so kann die gemeinsame Zeit auch für alle erforderlichen Phasen der Verhandlung genutzt werden, ohne den logistischen Aufwand des Zusammenkommens erneut betreiben zu müssen. Daraus hat sich in Mediations- und Schiedsverfahren die Praxis längerer ganztägiger Verhandlungstermine etabliert. Das ist online anders. Hier ist es möglich und womöglich ebenso effizient, an mehreren auch kürzeren Terminen zu verhandeln. Umgekehrt ist es ermüdend und nicht immer praktikabel, online Sitzungen vor dem Bildschirm in gleicher Länge beizuwohnen wie wir es von persönlichen Verhandlungen gewohnt sind. Mediatoren und Schiedsrichter sollten daher bei der Terminierung von online Verhandlungen erwägen, anstelle von ganztägigen Verhandlungen en bloc mehrere Termine von kürzerer Dauer in kurzer Abfolge mit den Parteien zu vereinbaren, zum Beispiel vier Sitzungen à drei Stunden im Verlauf einer Woche. Das gibt den Parteien und ihren Beratern zugleich ausreichend Gelegenheit für interne Zwischenberatungen.

Verfahrensregeln und online „Etikette“

Eine online Verhandlung gelingt umso besser, je eher die Beteiligten sich hierfür geeignete Regeln geben. Dazu zählt zum Beispiel das Ausschalten der Mikrofone der Teilnehmer, die gerade nicht sprechen, um störende Hintergrundgeräusche zu vermeiden, sowie eine Absprache dazu, ob und wann die Videokamera der Beteiligten an- oder ausgeschaltet sein soll. Ebenso hilfreich ist es, eine klare Reihenfolge der Wortbeiträge oder deren Moderation durch den Neutralen zu verabreden. Gleichermaßen empfiehlt sich die Absprache, den oder die Adressaten der eigenen Wortbeiträge stets namentlich anzusprechen, da beim Blick in die Kamera ansonsten nicht deutlich wird, an wen man sich jeweils richtet. Auch sollten vorab Signale vereinbart werden, mit denen die Beteiligten Fragen oder Anregungen zum Procedere äußern können. Hierfür eignet sich besonders die bei vielen Diensten parallel zum Videogespräch angebotene Chat-Funktion. Weiter ist es sinnvoll, Regeln dazu zu vereinbaren, wer wann welche Dokumente auf dem Bildschirm teilen und damit den anderen Beteiligten anzeigen darf. Wichtig sind weiter Vereinbarungen zur Wahrung der jeweils geltenden Vertraulichkeit. So sollte abgestimmt werden, ob und durch wen ein Mitschneiden der Besprechung oder die Aufnahme von Screenshots zulässig sein sollen. Vorkehrungen gegen die nicht abgestimmte Teilnahme Dritter sind ebenfalls anzuraten. Hierzu sollten vor jeder online Sitzung eindeutige Teilnehmerlisten mit Namen und Funktionen aufgesetzt und zirkuliert werden und die Teilnehmer mit personalisierten Zugangscodes zur Teilnahme an den Video Besprechungen ausgestattet werden. Der Mediator oder Schiedsrichter sollte den Zutritt zu den Video Besprechungen individuell und durch einen virtuellen Warteraum gefiltert steuern können. Alle Teilnehmer sollten sich auf der jeweiligen Plattform mit ihrem vollständigen Namen und ihrer Funktion anmelden, so dass sie für alle anderen als solche erkennbar sind. Zudem können Selbstverpflichtungserklärungen der Beteiligten dazu eingeholt werden, dass sie niemanden Unbefugtes an den Besprechungen teilnehmen lassen. Es kann darauf gedrungen werden, dass die Teilnehmer über ihre Webcam den anderen Beteiligten einen möglichst umfassenden Einblick in ihre jeweilige Umgebung gewähren, um die Teilnahme nicht zugelassener Dritter möglichst auszuschließen. In Schiedsverfahren sollte zudem vereinbart werden, dass zwischen den Parteien und dem Schiedsgericht stets nur im Gruppenchat und -video kommuniziert wird, um nicht abgestimmte ex parte-Kommunikation zu vermeiden.

Natürlich verbleibt ein nicht zu kontrollierender Graubereich. Diesen gibt es aber in offline geführten Verhandlungen auch. Auch dort erlauben technische Hilfsmittel dem bösgläubigen Teilnehmer Missbrauchsmöglichkeiten.

Visualisierung

In der Mediation spielt die Visualisierung des Gesprächsverlaufs eine wichtige Rolle. Offline geschieht diese meist mit Flipcharts oder Moderationskarten und Pinnwänden. Zwar wäre es theoretisch denkbar, dass auch in einer online geführten Verhandlung zum Beispiel ein Co-Mediator die Visualisierung in dieser gewohnten Form vornimmt und über seinen Video-Feed in die Gruppe einspielt. Besonders praktikabel erscheint das jedoch nicht. Sinnvoller ist es hier, die Möglichkeiten der online Zusammenarbeit durch das Teilen des Bildschirms des Mediators zu nutzen. So kann dieser zum Beispiel mithilfe entsprechender Software die Gesprächsinhalte in Form einer MindMap aufzeichnen oder die Teilnehmer einladen, gemeinsam an einem geteilten Whiteboard zu arbeiten. Auch kann in dieser Form gemeinsam an einer Abschlussvereinbarung oder einer Abrede zum weiteren Vorgehen gearbeitet werden. Sinnvoll erscheint es, diese Elemente einer Visualisierung in ein gemeinsames Verfahrens-Protokoll zusammen zu fassen, welcher der Mediator führt und in Absprache mit den Parteien diesen zugänglich macht.

Übersetzung und Protokollierung

In internationalen Verfahren, namentlich in internationalen Schiedsverfahren, ist es häufig erforderlich, Übersetzer einzusetzen, zumeist um Zeugenaussagen in der Muttersprache der Zeugen zu ermöglichen. Hier stellt die online Verfahrensführung gegenüber der offline Verfahrensführung keine maßgeblichen zusätzlichen Schwierigkeiten auf. Auch offline erfordert die Übersetzung bereits ein asynchrones Verfahren, in welchem der Übersetzer schrittweise die Beiträge des Zeugen in die Verfahrenssprache übersetzt. Das lässt sich online in ähnlicher Form durch die Teilnahme des Übersetzers an der online Videoverhandlung darstellen. Gleiches gilt für die Protokollierung von Beweisaufnahmen. Die hierzu häufig eingesetzten Dienstleister können ebenfalls in die online Verhandlung eingebunden werden, und sie können das Protokoll sogar live mit den übrigen Beteiligten am Bildschirm teilen. Hinzu kommt, dass die meisten online Videokonferenzplattformen eine Aufzeichnungsfunktion bieten, mit welcher der gesamte Verlauf der Besprechung aufgezeichnet werden kann. In Absprache mit allen Beteiligten kann auch diese für die Zwecke der Protokollierung genutzt werden.

Rechtliches

Sofern die Nutzung von online Videokonferenzen auf Freiwilligkeit und einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den Parteien beruht, bringt diese zumindest in Mediationsverfahren keine besonderen rechtlichen Herausforderungen mit sich.

In Schiedsverfahren stellt sich die rechtlich erhebliche Frage, ob eine online geführte Schiedsverhandlung dem Anspruch auf rechtliches Gehör und den Anforderungen des ordre public im Übrigen genügt und somit ein Schiedsspruch nicht mit dem Hinweis auf die online Durchführung einer Schiedsverhandlung angegriffen werden kann. Maßgebliche Faktoren für die Beurteilung dieser Frage dürften das Schiedsverfahrensrecht am jeweiligen Schiedsort, die ggf. vereinbarten Schiedsregeln einer Institution und sodann die konkrete Ausgestaltung der online Verhandlung sein. Die Diskussion hierzu steht erst am Anfang. Vergleicht man jedoch die letztlich gar nicht so maßgeblichen Unterschiede zwischen einer persönlichen Verhandlung und einer Video-Verhandlung und gestaltet man die online Verhandlung so, dass sie den Unterschieden zur persönlichen Verhandlung bestmöglich Rechnung trägt, so scheint es durchaus möglich, auch den Anspruch auf rechtliches Gehör und dem jeweiligen ordre public im Übrigen zu genügen.

Die häufig genannten datenschutzrechtlichen Risiken sind bei Licht betrachtet kaum andere als in offline geführten Verfahren. Solange auch dort mit elektronisch übermittelten Dokumenten (z.B. per E-Mail) gearbeitet wird – was gängige Praxis ist – lagern auch dann die Verfahrensdaten häufig auf den Servern externer E-Mail-Anbieter und unterliegen somit deren AGB mit teils zweifelhafter Zuordnung von Rechten an diesen Daten. Nichts anderes gilt für die Daten, welche bei der Nutzung von Online-Verhandlungen über die dazu genutzten Plattformen ausgetauscht werden. Im Zweifel sollten kostenpflichtige Angebote den kostenlosen Angeboten vorgezogen werden, da hier häufig die Herrschaft über die Daten in größerem Maße beim Nutzer verbleibt.

 

Hinweis der Redaktion: All denjenigen, die sich in der Durchführung virtueller Streitbeilegungsverfahren noch nicht richtig zu Hause fühlen, empfehlen wir das Webinar "Konfliktmanagement in Zeiten von Corona - Mediations- und Schiedsverfahren effizient online führen" am 7. Mai und am 12. Mai 2020 (jeweils 10-12 Uhr). Einzelheiten finden Sie hier.

 

 

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