Mediation: analog – und kostenlos?
Im Familienrecht wird derzeit diskutiert, ob auch nach der COVID-19-Pandemie verstärkt elektronische Formen wie Videokonferenzen genutzt werden sollen. Für Beteiligte an gerichtlichen Verfahren wäre es eine Erleichterung, wenn diese vollständig vom Schreibtisch oder aus dem heimischen Wohnzimmer geführt werden könnten.
Allerdings stellt sich die Frage nach dem Auftrag der Justiz. Handelt es sich bei Gerichten um Dienstleister, die ein niedrigschwelliges Angebot machen, ggf. sogar um dessen Inanspruchnahme werben sollen? Ist Aufgabe der Gerichte bei Streitigkeiten zwischen Bürgern nicht vielmehr die Herstellung (gesellschaftlichen) Friedens? Und welche Vorteile haben Präsenztermine gegenüber Videokonferenzen im Kontext der Konfliktregulation?
Dem Familienrichter fällt da einiges ein: Die physische Anwesenheit dient der Aufklärung des Sachverhalts. Nicht nur, dass die Beteiligten die Hintergründe ihres Verlangens besser kennen als jeder Bevollmächtigte (was sich oft im Rahmen von Vergleichsverhandlungen zeigt), auch die Beweiswürdigung lebt vom Gesamteindruck. Denn z.B. die Aussagekonstanz lässt sich im Rahmen einer Videoübertragung schlechter einschätzen als bei einem realen Gegenüber.
Durch verstärkte Nutzung der Videotechnologie würde die Inanspruchnahme von Gerichten (abgesehen von Ausnahmekonstellationen) nicht nur bagatellisiert, sondern man darf getrost von einem Qualitätsverlust ausgehen. Das gilt im Hinblick auf die Entscheidungsqualität ebenso wie hinsichtlich der Möglichkeiten gütlicher Einigung.
Diese Möglichkeiten gütlicher Einigung müssen im Familienrecht umso gewissenhafter genutzt werden, als es nicht selten um die Belange von Kindern geht, die unter der Trennung ihrer Eltern ohnehin zu leiden haben. Das ist auch der Gedanke von § 156 FamFG, nach dem das Gericht in den meisten Kindschaftssachen in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinzuwirken hat.
Wichtige öffentliche Leistungen, mit denen ein solches Einvernehmen erzielt werden kann, enthält das Recht der Kinder- und Jugendhilfe in §§ 17 f. SGB VIII. So sind Eltern nach § 17 Abs. 2 SGB VIII im Fall der Trennung und Scheidung unter angemessener Beteiligung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung zu unterstützen. Zu Recht vertritt das OLG Zweibrücken (NJW-RR 2000, 957) sogar die Auffassung, dass es Elternpflicht ist, diese Unterstützung anzunehmen: „Die Verweigerung der Annahme von Beratung kann als kindeswohlfeindliche Unterlassung zu werten sein.“
Das Problem an der Sache: Die Jugendämter und Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) verfügen kaum über einschlägig ausgebildete Fachkräfte. Ein Studium der Sozialen Arbeit schließt ebenso wie die klassische Juristenausbildung moderne Möglichkeiten des Konfliktmanagement kaum ein.
Berichte von Beratungsgesprächen legen nahe, dass häufig versucht wird, zu schnellen Lösungen zu kommen. Gelingt das nicht, wird achselzuckend auf die Möglichkeit gerichtlicher Verfahren verwiesen. Das mag in Anbetracht einer hohen Arbeitsbelastung verständlich erscheinen, ist in der Sache aber eine Leistungsverkürzung. Denn ebenso wie andere Sozialleistungen müssen Leistungen des Jugendamtes modern und professionell erbracht werden. Geschuldet sind nicht schnelle und einfache Lösungen, sondern erfolgreiche. Das schließt v.a. die Mediation ein.
Dass ein Jugendamt nicht über ausgebildete Mediatoren verfügt, bedeutet aber nicht, dass Mediation als Leistungsform ausscheidet. Denn Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe müssen nicht durch die Jugendämter selbst erbracht werden. Vielmehr sind die meisten Leistungserbringer sog. freie Träger.
Leistungen werden erbracht durch Jugendämter, aber auch durch Kirchen und Vereine, durch auf Gewinnerzielung angelegte Gesellschaften und durch Einzelpersonen. Die Leistungsberechtigten – im Fall der Beratung in Fragen von Partnerschaft, Trennung und Scheidung: die Eltern – haben hinsichtlich des Leistungserbringers und hinsichtlich der Art der Leistungserbringung ein Wunsch- und Wahlrecht.
Dieses Wunsch- und Wahlrecht kann so ausgeübt werden, dass die Erbringung der Leistung durch einen niedergelassenen Mediator in Form einer Mediation verlangt wird.
Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer Finanzierung von Mediation aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe, für die es nicht auf Einkommen und Vermögen der Medianten ankommt. Denn das Jugendamt kann die Leistungsberechtigten bei Leistungen nach §§ 17 f. SGB VIII nicht zu Kostenbeiträgen heranziehen.
In der August-Ausgabe der ZKM (4/2020,128 ff.) finden niedergelassene Mediatoren alles, was sie zu einer Finanzierung ihrer Leistungen über das Jugendamt brauchen – einschließlich eines Musterantrags.