05.05.2021

Neurobiologische Wirkfaktoren als Ergänzung zum Harvard-Konzept?

Portrait von Ulrich Egger
Ulrich Egger Senior Partner, Egger Philips & Partner, Zürich

In seinem Beitrag „Alles nur gesunder Menschenverstand?“ (ZKM 1/2021, 32 ff.) erläutert Adrian Schweizer seine Erkenntnisse zur Wirksamkeitsforschung psychotherapeutischer Massnahmen und zieht Rückschlüsse auf die Mediation und auf das von vielen Praktikern geschätzte Harvard-Konzept. Dies ist begrüssenswert. Anderseits dürfte sein Anspruch, dass sich «professionell arbeitende» MediatorInnen neurobiologisch absichern sollten, nicht überall auf offene Ohren stossen.

Zum einen gewinnt man den Eindruck, der Autor erachte Konfliktparteien, die sich für Mediation entschieden haben, als reif für eine psychotherapeutische Behandlung, was eben neurobiologisch abgesicherte Interventionen erfordere. Die Ansicht, den klassischen Mediationsprozess mit solchen oder ähnlichen Massnahmen zu unterlegen oder zu ergänzen, dürfte aber selbst von MediatorInnen, die eine grosse Bandbreite von Vorgehensmöglichkeiten beim mediativen Wirken zulassen, als problematisch erachtet werden.

Zum andern insinuiert der Autor, dass dem Harvard-Konzept die wissenschaftliche Grundlage fehle, indem er sich auf ein eigenwillig interpretiertes Zitat des verstorbenen Prof. Roger Fisher beruft. Die herausragende Leistung der Autoren des Harvard-Konzepts besteht vor allem darin, dass sie die Problematik des Verhandelns nicht nur wissenschaftlich erforscht, sondern daraus einen allgemein verständlichen, praxistauglichen und konzeptionellen Ansatz entwickelt haben. Wenn Roger Fisher von „well-organized commonsense“ sprach, tat er dies, um Praktiker nicht abzuschrecken. Zugleich betonte er in seiner Bescheidenheit stets, dass das Harvard-Konzept „work in progress“ und kein Allheilmittel zur Konfliktbehebung sei. Er unterstützte die interdisziplinäre Forschung, betonte jedoch stets, dass man beim Harvard-Konzept bewusst auf therapeutische Ansätze verzichtet habe.

Nicht nur als Verhandelnder, sondern auch als erfolgreicher Vermittler auf höchster Ebene wusste Roger Fisher, dass Interventionen, die im klinischen Bereich sinnvoll sind, wenig hilfreich sind in einem Mediationsverfahren, da sie von den Konfliktparteien als übergriffig oder manipulativ empfunden werden können.

Ulrich Egger

Senior Partner www.eggerphilips.ch www.mediartis.ch

 

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