Verbesserung des Zugangs zum Recht durch künstliche Intelligenz: das Projekt „Access to Justice through Artificial Intelligence“
Im zweiten Teil meines Beitrags zur Veränderung der Konfliktlösung durch künstliche Intelligenz, der gerade in der Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM 2023, 121 ff.) erschienen ist, erwähne ich kurz ein Projekt, das die Verbesserung des Zugangs zum Recht durch den Einsatz künstlicher Intelligenz erkundet. Da ich aus Platzgründen dieses Projekt in der ZKM nicht weiter vorstellen konnte, möchte ich dies hier tun und auch erklären, warum mir dieses Projekt wichtig ist.
Ziel des Projekts ist die Erstellung einer elektronischen Plattform, auf der sich Parteien, die sich keine anwaltliche Vertretung leisten können, darüber informieren können, wie ein summarisches Gerichtsverfahren wahrscheinlich ausgehen wird. Zudem erklärt die Anwendung den Parteien, aus welchen Gründen sie das summarische Verfahren wahrscheinlich gewinnen oder verlieren werden. Bei dem summarischen Verfahren handelt es sich um eine besondere Verfahrensart des englischen Rechts (summary judgment). Das Gericht kann im summarischen Verfahren entscheiden, wenn entweder der Kläger oder der Beklagte keine realistische Aussicht auf Erfolg haben und es keine anderen Gründe für ein vollständiges Verfahren gibt.
Das Projekt setzt also künstliche Intelligenz ein, um anwaltlich nicht vertretenen Parteien zum einen Vorhersagen darüber zu liefern, ob sie in einem summarischen Verfahren erfolgreich sein werden, und zum anderen zu erklären, warum ein Erfolg winkt oder ein Misserfolg droht. Das Projekt wird großzügig durch die Nuffield Foundation finanziert und läuft von April 2023 bis März 2025. Bei der Umsetzung des Projekts arbeiten wir mit der gemeinnützigen Organisation „Support Through Court“ zusammen, die den Parteien, die unsere Plattform anwenden, betreuend zur Seite steht.
Warum ist dieses Projekt wichtig? Erstens spielt das summarische Verfahren im englischen Recht eine wichtige Rolle. Das zeigt sich schon daran, dass wir tausende solcher Entscheidungen in unserem Datenset haben. Dabei fällt besonders auf, dass anwaltlich vertretene Parteien summarische Verfahren gegen nicht anwaltlich vertretene Parteien ganz überwiegend gewinnen.
Zweitens bietet dieses Projekt eine Chance, in der Praxis zu testen, ob künstliche Intelligenz tatsächlich erfolgreich dabei helfen kann, den Zugang zum Recht zu verbessern. Das ist besonders deshalb von Bedeutung, weil künstliche Intelligenz aktuell überwiegend von Unternehmen dazu genutzt wird, rechtliche Risiken besser zu verstehen. Konfliktparteien, die nicht finanzstark sind, haben aktuell nur Zugang zu künstlicher Intelligenz, die von Start-ups im Bereich Recht entwickelt werden. Diese Anwendungen bieten allerdings häufig nur allgemeine Rechtsauskünfte und nicht konkrete Informationen zu einem bestimmten Rechtsproblem, insbesondere wenn es sich dabei um ein Gerichtsverfahren handelt.
Drittens ermöglicht das Projekt unserem Team bestehend aus Wissenschaftlern aus den Bereichen künstliche Intelligenz (Ahmed Izzidien), Ethik (Rune Nyrup) und Recht (Holli Sargeant, Felix Steffek), die Grundlagen der künstlichen Intelligenz im Recht weiterzuentwickeln. Das beginnt bei der Entwicklung eines Datensets zu summarischen Entscheidungen, das wir auch anderen Forschern zur Verfügung stellen. Weiterhin entwickeln wir neue Verfahren zur Vorhersage von Gerichtsurteilen sowie zum Entwurf allgemein verständlicher Erklärungen solcher Urteile. Zudem erstellen wir ethische Leitlinien dazu, wie solche Informationen verständlich und verantwortlich kommuniziert werden können, insbesondere im Kontext mangelnder anwaltlicher Betreuung.
Da wir mit diesem Projekt in vielerlei Hinsicht neue Gebiete betreten, stoßen wir auch auf neue Herausforderungen. Bereits gelöst haben wir die Frage, wie wir in unserem Ausgangsdatenset mit mehr als 250.000 Gerichtsurteilen (der Cambridge Law Corpus, dazu unten) diejenigen Entscheidungen identifizieren können, bei denen es sich um summarische Entscheidungen handelt. Gegenwärtig beschäftigen uns vor allem zwei Themen. Erstens arbeiten wir an der Herausforderung, Vorhersagen auch dann zu leisten, wenn in unserem Datenset nur wenige oder keine Entscheidungen in dem relevanten Sachkontext vorhanden sind. Zweitens versuchen wir rechtliche Argumente in der künstlichen Intelligenz sowohl als Grundlage der Vorhersagen als auch für die Erstellung der Begründungen zu verankern.
Als erstes Fazit kann ich festhalten, dass der Zugang zu generativer künstlicher Intelligenz (ChatGPT, Claude, Llama etc.) neue Lösungsmöglichkeiten eröffnet hat, die andere Methoden des maschinellen Lernens nicht bieten. Zudem kann ich berichten, dass bei der Vorhersage des Ausgangs von Gerichtsverfahren, die sich in der Praxis bewähren muss, mehr Schwierigkeiten auftun, als bei einer ersten konzeptionellen Betrachtung sichtbar werden. Allerdings ist unsere Erfahrung bisher auch, dass die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und der maschinellen Textverarbeitung uns bisher stets Lösungsmöglichkeiten zur Bewältigung dieser Schwierigkeiten eröffnet haben.
Weitere Informationen gibt es auf unserer Projektwebseite: https://www.nuffieldfoundation.org/project/access-to-justice-through-artificial-intelligence
Der Cambridge Law Corpus ist ein Datenset mit englischen Gerichtsurteilen, das in einem anderen Forschungsprojekt (Legal Systems and Artificial Intelligence: https://www.trusttech.cam.ac.uk/research-directory-overview/legal-systems-and-artificial-intelligence-project) entwickelt wurde und noch in diesem Jahr veröffentlicht wird.