Claudia Pechstein siegt vor dem BVerfG: Sportgericht CAS muss in Statuten Gerichtsöffentlichkeit herstellen
Die Eisläuferin Claudia Pechstein ist mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gewesen (Beschl. v. 03.06.2022, Az. 1 BvR 2103/16). Das höchste deutsche Gericht entschied, dass der BGH den Internationalen Sportsgerichtshof (CAS), der Pechstein 2009 zu einer Dopingsperre verurteilte, angesichts struktureller rechtsstaatlicher Mängel nicht als „Schiedsgericht" im Sinne der Zivilprozessordnung hätte einordnen dürfen. Entsprechend hätte der BGH auch die Schiedsvereinbarung zwischen Pechstein und den Verbänden nicht als wirksam erachten dürfen.
Pechsteins Prozess gegen die Internationale Eislauf-Union (ISU) und die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) um eine Entschädigung in Millionenhöhe kann damit vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) fortgesetzt werden. Die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin bekommt so doch noch eine Chance, wegen ihrer zweijährigen Dopingsperre Schmerzensgeld und Schadensersatz durchzusetzen.
Der BGH hatte die Schiedsvereinbarung noch für wirksamgehalten, der CAS sei ein „echtes" Schiedsgericht nach der ZPO, die Klage 4-Mio-Schadensersatzkalge von Pechstein daher unzulässig. Sportverbände dürften die Teilnahme von AthletInnen davon abhängig machen, ob sie eine Schiedsvereinbarung unterzeichnen, die gemäß den Anti-Doping-Regeln den CAS als Schiedsgericht vorsehen. Die Verfahrensordnung des CAS enthalte ausreichende Garantien für die Wahrung der Rechte der AthletIinnen.
Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil füri zulässig und begründet. Zwar sei ein Verzicht auf den Zugang zu staatlichen Gerichten durch eine Schiedsvereinbarung im Bereich des Sports grundsätzlich möglich – aber eben nicht uneingeschränkt.
Der Justizgewährungsanspruch setze Schiedsvereinbarungen Grenzen. Insbesondere dann, wenn Personen, wie Sportler, keine echte Wahlfreiheit haben, ob sie die Schiedsvereinbarung unterzeichnen. Denn wenn Sportler die Unterzeichnung verweigern, können sie nicht an Wettkämpfen teilnehmen. Gerade in solchen Fällen der faktischen Übergewichts der Verbandseite müsse der Staat dafür Sorge tragen, dass Schiedsverfahren auch effektiven Rechtsschutz gewährleisten und sie rechtsstaatlichen Mindeststandards entsprechen, so das BVerfG.
Der BGH habe in seiner Abwägung zwischen der Vertragsfreiheit und Verbandsautonomie auf der einen und dem Justizgewährungsanspruch auf der anderen Seite nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Statuten des CAS keine mündliche Verhandlung vorsahen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen sei aber ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und des Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie. Die Gerichtsöffentlichkeit sollte gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz dienen. Inzwischen hat der CAS seine Verfahrensordnung zwar geändert. Über die neue Fassung musste das BVerfG indes nicht entschieden.
Pechstein hatte in ihrer Verfassungsbeschwerde die Schiedsklausel auch mit dem Argument angegriffen, dass die Auswahl von Richtern des CAS durch die Sportverbände selbst, gegen den Justizgewährleistungsanspruch verstoße. Das BVerfG musste über diese Frage zwar nicht entscheiden, da es die Schiedsklausel schon aufgrund der fehlenden mündlichen Verhandlung als nichtig erachtet. Dennoch betonten die Verfassungsrichter, dass die Unabhängigkeit zum Wesen der richterlichen Tätigkeit gehöre. Dies erfordere Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten. Diese Grundsätze seien auch bei der Ausgestaltung eines Schiedsverfahrens zu gewährleisten. Nur wenn diese rechtsstaatlichen Mindestanforderungen gerecht werde, dürfe der Rechtsschutz vor den ordentlichen nationalen Gerichten ausgeschlossen oder eingeschränkt werden.
Inwieweit der CAS seine Schiedsordnung nunmehr hinsichtlich der Schiedsrichterwahl anpassen muss, wird von Rechtsexperten unterschiedlich beurteilt. Rechtsanwalt Simon Bergmann sieht jedenfalls für seine Mandantin nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde nun den „Wendepunkt in der schon 13 Jahre währenden Auseinandersetzung" gekommen. Der Weg für den Erfolg der Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage in Höhe von knapp 4 Millionen Euro sei geebnet. Das Verfahren um Millionenentschädigung wird nun vor OLG München fortgesetzt.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der Datenbank Otto Schmidt online.
Quelle: www.lto.de v. 12.7.2022 + www.deutschlandfunk.de v. 13.7.2022