Entwurf für überarbeitete ADR-Richtlinie wirft Fragen auf
Am 17.10.2023 wurde der Entwurf für eine überarbeitete ADR-Richtlinie von der Europäischen Kommission veröffentlicht.
In der begleitenden Pressemitteilung wird betont, dass damit die außergerichtliche Streitbeilegung bei b2c-Streitigkeiten gestärkt und ausgebaut werden, also: mehr Gewicht erhalten soll.
In der Tat soll nach dem Entwurf sowohl der örtliche als auch der sachliche Anwendungsbereich deutlich erweitert werden: Auf Streitigkeiten nicht nur aus Vertrag, sondern aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen und bezüglich anderer Verbraucherrechte sowie eine Zuständigkeit für Unternehmer außerhalb der EU, d.h. auf der ganzen Welt.
Allerdings stellt sich die Frage, ob durch den Entwurf ein grundlegendes strukturelles Problem gelöst wird: die mangelnde Teilnahmebereitschaft der Unternehmen. In der von der EU-Kommission beauftragten Studie der KU Leuven „Recommendations from academic research regarding future needs of the EU framework of the consumer Alternative Dispute Resolution (ADR) (JUST/2020/CONS/FW/CO03/0196)“ wurde dieses Problem im Executive Summary deutlich benannt: „Die Beteiligungsquoten der Unternehmen sind im Allgemeinen in allen Sektoren und Mitgliedstaaten niedrig. Allerdings scheinen die residuellen ADR-Stellen die schlechtesten Beteiligungsquoten zu haben.“
Bei einer näheren Betrachtung des vorgestellten Richtlinienänderungsentwurfs stellt sich aber die Frage, ob dieser wirklich geeignet ist, an dieser entscheidenden Stellschraube zu drehen. Denn diesem Grundproblem soll vor allem wie folgt begegnet werden: Unternehmer sollen nach einem künftigen Art. 5 Abs. 8 verpflichtet werden, sich binnen 20 Werktagen gegenüber der sie anlässlich einer Streitigkeit anschreibenden ADR-Stelle zu äußern, ob sie an dem Verfahren teilnehmen werden. Im Gegenzug soll die Pflicht für Unternehmen aus Art. 13 Abs. 3 abgeschafft werden, immer dann, wenn eine direkte Einigung mit dem Verbraucher scheitert, diesem mitzuteilen, welche ADR-Stelle zuständig ist und ob er zu einer Teilnahme bereit ist.
Weiterhin wurde zeitgleich ein Entwurf vorgelegt, die ODR-Verordnung aufzuheben – und damit auch die ODR-Plattform abzuschaffen sowie die Hinweispflicht auf diese. Es soll laut dem ADR-Entwurf nach einem künftigen Art. 20 Abs. 8 aber ein digitales, interaktives Tool von der EU-Kommission zur Verfügung gestellt werden, mit Links zu allen notifizierten ADR-Stellen. Weiterhin soll es statt der ODR-Kontaktstellen künftig nationale ADR- Kontaktstellen geben, die von beiden Parteien genutzt werden können sollen. Auffallend dabei ist aber, dass nach einem künftigen Art. 14 Abs. 2 diese Kontaktstellen nur bei Verbrauchereinrichtungen angesiedelt werden dürfen, während es bisher bei den ODR-Kontaktstellen keine solche Festlegung gab. Dies wirft die Frage auf, ob diese institutionelle Fixierung in Richtung Verbraucher eine freiwillige Teilnahme von Unternehmen begünstigen wird und ob dies die Wahrnehmung von ADR als neutraler Instanz beinträchtigen könnte.
In umgekehrter Richtung stellen sich aber ähnliche Fragen: Ebenfalls am 17.10.2023 verabschiedete die EU-Kommission eine Empfehlung für Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände, wonach sich Vermittlungsstellen von Online-Portalen freiwillig an den Qualitätsgrundsätzen der ADR-Richtlinie ausrichten sollen. Zweifelslos gut ist dies, sofern dadurch die Qualität dieser Kundenservices gesichert würde. Es stellt sich aber u.a. die Frage, ob die Alleinstellungsmerkmale von notifizierten ADR-Stellen, insbesondere die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, in der öffentlichen Wahrnehmung dadurch weniger wahrgenommen würden.
Der Richtlinienentwurf verfolgt nach wie vor den Ansatz einer Minimalharmonisierung, so dass Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie Spielräume bleiben, dennoch sollte nicht versäumt werden, den Fragen, die der Entwurf aufwirft, zeitnah nachzugehen, damit ihnen im weiteren europäischen Gesetzgebungsprozess berücksichtigt werden kann.
Quelle: Felix Braun, Vorstand des Zentrum für Schlichtung e.V. und Leiter der dort angesiedelte Universalschlichtungsstelle des Bundes. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.