Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat ausgeschlossen bei justiziabler Angelegenheit
LAG Köln v. 6.8.2021 - 9 TaBV 26/21
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle bzgl. der Beschwerde einer Arbeitnehmerin. Die Arbeitgeberin ist eine Gesellschaft der I Gruppe, einem großen Anbieter der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit. Frau B ist die Bürokraft des Betriebsrats.
Die Arbeitgeberin mahnte Frau B ab, weil sie ihre Arbeitsunfähigkeit am 15.6.2020 lediglich dem Betriebsratsvorsitzenden, nicht aber der Personalabteilung angezeigt hatte.
Frau B beschwerte sich bei dem Betriebsrat darüber, dass sie sich durch die Arbeitgeberin ungerecht behandelt und beeinträchtigt fühle, da sie im Falle einer Erkrankung die Personalabteilung vor Dienstbeginn über ihre Erkrankung zu unterrichten habe. So müsse sie in einer Situation, in der sie ohnehin bereits gesundheitlich beeinträchtigt sei, zwei Stellen im Betrieb kontaktieren. Denn den Betriebsratsvorsitzenden habe sie in jedem Fall zu informieren, da er die Arbeit im Betriebsratsbüro erforderlichenfalls umorganisieren müsse.
Das ArbG gab dem Antrag des Betriebsrats statt, eine Einigungsstelle zu bilden.
Das LAG hat nun der Beschwerde der Arbeitgeberin gegen diesen Beschluss stattgegeben. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Die Gründe:
Die Beschwerde ist begründet. Die Einigungsstelle ist für die Behandlung der Beschwerde von Frau B offensichtlich unzuständig i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Denn Gegenstand ihrer Beschwerde ist ein Rechtsanspruch, den die Einigungsstelle gemäß § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht behandeln darf.
Nach § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann ein Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde eines Arbeitnehmers bestehen. Dies kann jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in den Fällen gelten, in denen eine Beschwerde eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Gegenstand hat. Denn in einem solchen Fall darf weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer der Rechtsweg abgeschnitten werden. Zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen dient allein der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen.
Die Beschwerde der Frau B hat einen Rechtsanspruch zum Gegenstand. Der Begriff des Rechtsanspruchs i.S.d. § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG beschreibt die Möglichkeit des einzelnen Arbeitnehmers, sein Petitum ggf. im Wege des arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahrens ggü. dem Arbeitgeber geltend zu machen. Dadurch unterscheiden sich Rechtsansprüche von rein tatsächlichen Beeinträchtigungen.
Mit ihrer Beschwerde macht Frau B geltend, dass es ausreichen müsse, wenn sie in einer gesundheitlich angegriffenen Situation ihren direkten Vorgesetzten vor Dienstbeginn informiere und dass sie der Anweisung der Arbeitgeberin zukünftig nicht mehr nachkommen möchte. Damit macht sie nicht nur geltend, sich durch die Anweisung rein tatsächlich beeinträchtigt zu fühlen. Sie möchte vielmehr, dass der Arbeitgeberin wenigstens zukünftig die Befugnis genommen wird, ihr entsprechende Verpflichtungen bei Arbeitsunfähigkeit aufzuerlegen und sie wegen Nichtbefolgung der Anweisung abzumahnen. Das ist der Kern ihres Anliegens.
Sähe man darin, wie der Betriebsrat, nicht die Geltendmachung eines Rechtsanspruchs, hätte dies zur Folge, dass die Einigungsstelle gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ggf. gegen die Stimme der Arbeitgeberin bindend festlegen könnte, dass sich Frau B im Falle ihrer Erkrankung nicht vor Dienstbeginn bei der von der Arbeitgeberin benannten Stelle melden müsse. Damit würde das von der Arbeitgeberin für sich in Anspruch genommene und ihr von Rechtsprechung und Literatur zugewiesene Recht, diese Stelle bestimmen zu können, ausgeschlossen. Auch die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit vor Dienstbeginn angezeigt werden muss oder ob eine Anzeige in den ersten Arbeitsstunden noch "unverzüglich" i.S.v. § 5 Abs. 1Satz 1 EFZG ist, wäre einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Denn der Spruch der Einigungsstelle würde gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Meinungsverschiedenheit der Beteiligten über die Beschwerde der Frau B beilegen.
Der in § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG festgelegte Ausschluss von Rechtsansprüchen als Gegenstand von Beschwerden ist streng auszulegen. Bei einer justiziablen Angelegenheit scheidet die Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat aus. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanspruch schwer konkretisierbar ist oder ob der Arbeitgeber einen Entscheidungsspielraum für eine Abhilfeentscheidung hat.
Die Unzuständigkeit der Einigungsstelle für die Behandlung der Beschwerde von Frau B ist "offensichtlich" i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, weil die Beschwerde ohne Weiteres erkennbar eine streitige und justiziable Rechtsfrage zwischen Frau B und der Arbeitgeberin betrifft.
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Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle bzgl. der Beschwerde einer Arbeitnehmerin. Die Arbeitgeberin ist eine Gesellschaft der I Gruppe, einem großen Anbieter der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit. Frau B ist die Bürokraft des Betriebsrats.
Die Arbeitgeberin mahnte Frau B ab, weil sie ihre Arbeitsunfähigkeit am 15.6.2020 lediglich dem Betriebsratsvorsitzenden, nicht aber der Personalabteilung angezeigt hatte.
Frau B beschwerte sich bei dem Betriebsrat darüber, dass sie sich durch die Arbeitgeberin ungerecht behandelt und beeinträchtigt fühle, da sie im Falle einer Erkrankung die Personalabteilung vor Dienstbeginn über ihre Erkrankung zu unterrichten habe. So müsse sie in einer Situation, in der sie ohnehin bereits gesundheitlich beeinträchtigt sei, zwei Stellen im Betrieb kontaktieren. Denn den Betriebsratsvorsitzenden habe sie in jedem Fall zu informieren, da er die Arbeit im Betriebsratsbüro erforderlichenfalls umorganisieren müsse.
Das ArbG gab dem Antrag des Betriebsrats statt, eine Einigungsstelle zu bilden.
Das LAG hat nun der Beschwerde der Arbeitgeberin gegen diesen Beschluss stattgegeben. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Die Gründe:
Die Beschwerde ist begründet. Die Einigungsstelle ist für die Behandlung der Beschwerde von Frau B offensichtlich unzuständig i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Denn Gegenstand ihrer Beschwerde ist ein Rechtsanspruch, den die Einigungsstelle gemäß § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht behandeln darf.
Nach § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann ein Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde eines Arbeitnehmers bestehen. Dies kann jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in den Fällen gelten, in denen eine Beschwerde eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Gegenstand hat. Denn in einem solchen Fall darf weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer der Rechtsweg abgeschnitten werden. Zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen dient allein der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen.
Die Beschwerde der Frau B hat einen Rechtsanspruch zum Gegenstand. Der Begriff des Rechtsanspruchs i.S.d. § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG beschreibt die Möglichkeit des einzelnen Arbeitnehmers, sein Petitum ggf. im Wege des arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahrens ggü. dem Arbeitgeber geltend zu machen. Dadurch unterscheiden sich Rechtsansprüche von rein tatsächlichen Beeinträchtigungen.
Mit ihrer Beschwerde macht Frau B geltend, dass es ausreichen müsse, wenn sie in einer gesundheitlich angegriffenen Situation ihren direkten Vorgesetzten vor Dienstbeginn informiere und dass sie der Anweisung der Arbeitgeberin zukünftig nicht mehr nachkommen möchte. Damit macht sie nicht nur geltend, sich durch die Anweisung rein tatsächlich beeinträchtigt zu fühlen. Sie möchte vielmehr, dass der Arbeitgeberin wenigstens zukünftig die Befugnis genommen wird, ihr entsprechende Verpflichtungen bei Arbeitsunfähigkeit aufzuerlegen und sie wegen Nichtbefolgung der Anweisung abzumahnen. Das ist der Kern ihres Anliegens.
Sähe man darin, wie der Betriebsrat, nicht die Geltendmachung eines Rechtsanspruchs, hätte dies zur Folge, dass die Einigungsstelle gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ggf. gegen die Stimme der Arbeitgeberin bindend festlegen könnte, dass sich Frau B im Falle ihrer Erkrankung nicht vor Dienstbeginn bei der von der Arbeitgeberin benannten Stelle melden müsse. Damit würde das von der Arbeitgeberin für sich in Anspruch genommene und ihr von Rechtsprechung und Literatur zugewiesene Recht, diese Stelle bestimmen zu können, ausgeschlossen. Auch die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit vor Dienstbeginn angezeigt werden muss oder ob eine Anzeige in den ersten Arbeitsstunden noch "unverzüglich" i.S.v. § 5 Abs. 1Satz 1 EFZG ist, wäre einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Denn der Spruch der Einigungsstelle würde gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Meinungsverschiedenheit der Beteiligten über die Beschwerde der Frau B beilegen.
Der in § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG festgelegte Ausschluss von Rechtsansprüchen als Gegenstand von Beschwerden ist streng auszulegen. Bei einer justiziablen Angelegenheit scheidet die Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat aus. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanspruch schwer konkretisierbar ist oder ob der Arbeitgeber einen Entscheidungsspielraum für eine Abhilfeentscheidung hat.
Die Unzuständigkeit der Einigungsstelle für die Behandlung der Beschwerde von Frau B ist "offensichtlich" i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, weil die Beschwerde ohne Weiteres erkennbar eine streitige und justiziable Rechtsfrage zwischen Frau B und der Arbeitgeberin betrifft.