Arbeitgeber dürfen Bewerber kritisch auf ihr (vermeintliches) Übergewicht ansprechen
Arbeitsgericht Darmstadt 12.6.2014, 6 Ca 22/13Bei der Beklagten handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, dem als Patientenorganisation etwa 90 Prozent der regionalen Borreliose-Selbsthilfegruppen angeschlossen sind. Nach dem Rücktritt des gesamten Vorstands der Beklagten war u.a. die Position des Geschäftsführers neu zu besetzen.
Die Klägerin bewarb sich auf die Stelle und führte ein erstes Vorstellungsgespräch mit Vertretern der Beklagten. Sie wurde für den 27.8.2012 zu einem zweiten Vorstellungsgespräch eingeladen. Am Vorabend erhielt sie von der kommissarischen Geschäftsführerin eine E-Mail, in der sich diese kritisch über das Übergewicht der Klägerin äußerte. Wortwörtlich hieß es hier:
"(...) als ehemalige Dicke möchte ich Sie fragen, was dazu geführt hat, dass Sie kein Normalgewicht haben. Sie müssen diese Frage nicht beantworten. Aber wenn Sie wollen, können Sie es mir erklären. Es geht dabei auch darum, dass Sie bei unseren Mitgliederversammlungen anwesend sein müssen und wir vielen immer wieder sagen müssen, dass sie das Thema Übergewicht ausschalten müssen, wenn es um Gutachten und Differentialdiagnosen der Borreliose geht. Im jetzigen Zustand wären sie natürlich kein vorzeigbares Beispiel und würden unsere Empfehlungen für Ernährung und Sport konterkarieren. (...)"
Die Klägerin sah hierin eine Diskriminierung und verlangte eine Entschädigung i.H.v. 30.000 Euro. Sie sei keinesfalls übergewichtig, sondern trage die durchschnittliche Damenkleidergröße 42. Man habe ihr in einem anschließenden Telefongespräch mitgeteilt, wenn sie die Gründe für ihr Übergewicht nicht mitteile, brauche sie nicht zum Vorstellungsgespräch kommen.
Ihre Klage hatte vor dem Arbeitsgericht keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Entschädigung aus dem AGG, da sie nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgrundes diskriminiert worden ist. Der Katalog in § 1 AGG ist insoweit abschließend.
Es liegt insbesondere keine Behinderung i.S.d. AGG vor; die Beklagte ist auch nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin behindert ist. Die Mail der kommissarischen Geschäftsführerin lässt lediglich darauf schließen, dass die Klägerin als stark übergewichtig wahrgenommen worden ist. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorstandsmitglieder über die objektiven Gegebenheiten hinaus von einer behandlungsbedürftigen Erkrankung im Sinn einer schweren Adipositas und hieraus resultierenden Einschränkungen für die gesellschaftliche/berufliche Teilhabe ausgegangen sind.
Es liegt auch keine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin vor. Bei der Besetzung von Stellen ist dem Arbeitgeber nach der Werteordnung des Grundgesetzes (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) ein großer Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Soweit es nicht um eine Benachteiligung aus den in § 1 AGG genannten Gründen geht, wird man dem Arbeitgeber zugestehen müssen, im Rahmen seiner Entscheidungsfindung auch solche Umstände zu berücksichtigen, die zwar von der Stelle nicht zwingend geboten sind, die aber in seinem eigenen billigenswerten Interesse liegen.
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