Arbeitgeber muss bei fristloser Verdachtskündigung Betriebsrat auch zur Interessenabwägung anhören
LAG Schleswig-Holstein 10.1.2012, 2 Sa 305/11Die Klägerin war seit 1999 in der Badeanstalt der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. In den Jahren 2009 bis 2011 mahnte die Beklagte sie dreimal ab - zweimal wegen Verlassens des Arbeitsplatzes ohne vorherige Abmeldung und einmal wegen Führens eines privaten Telefonats in der Arbeitszeit, ohne dieses als privat zu kennzeichnen.
Seit dem 20.1.2011 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 4.2.2011 erschien sie an ihrem Arbeitsplatz, durchsuchte dort das Fundsachenregal und nahm ohne Rücksprache mit der Beklagten einen Tauchring mit. Als sie hierauf angesprochen wurde, verteidigte sie sich mit Vorbringen, ihr Sohn habe den Tauchring bei einem Badbesuch verloren.
Die Beklagte ging von einem Diebstahl aus und wollte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin deshalb fristlos kündigen. Vor Ausspruch der Kündigung hörte sie den Betriebsrat an. Diesem schilderte sie zwar alle Umstände, die aus ihrer Sicht den Diebstahlsverdacht rechtfertigten, die Abmahnungen erwähnte sie jedoch nicht, obwohl diese in ihre Kündigungsentscheidung eingeflossen waren.
Die Kündigungsschutzklage der Klägerin hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG Erfolg.
Die Gründe:
Die Kündigung ist unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß i.S.v. § 102 BetrVG angehört worden ist.
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung vor einer außerordentlichen Tat- oder Verdachtskündigung alle be- und entlastenden Umstände mitteilen. Hierzu gehören auch die Umstände, aufgrund derer der Arbeitgeber es für unzumutbar hält, den Arbeitnehmer zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Der Arbeitgeber muss deshalb den Betriebsrat auf jeden Fall über die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen Verlauf informieren. Bei einem langjährigen störungsfrei verlaufenden Arbeitsverhältnis ist zu prüfen, ob das hierdurch aufgebaute Vertrauen durch eine einmalige Verfehlung unwiederbringlich zerstört werden konnte.
Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Betriebsrat nicht im erforderlichen Umfang angehört. Aus ihrer Sicht ist das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin im Hinblick auf deren vorangegangene Fehlverhaltensweisen keineswegs störungsfrei verlaufen, so dass sich die Klägerin nicht auf ihre langjährige Betriebszugehörigkeit berufen kann. Dem Betriebsrat sind diese Gesichtspunkte aber nicht mitgeteilt worden.
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Betriebsrat Kenntnis von den Abmahnungen hatte. Denn der Betriebsrat wusste dennoch nicht, dass die Abmahnungen für die Entscheidung der Beklagten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von Bedeutung waren. Er hatte deshalb auch keine Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.