Auflösungsantrag des Arbeitgebers wegen übler Nachrede
LAG Hamburg v. 10.6.2021 - 8 Sa 22/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten, die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin sowie einen Auflösungsantrag der Beklagten. Grund für die Kündigung war eine an den Vorstand der Muttergesellschaft gerichtete E-Mail vom 8.4.2019. Die beklagte Arbeitgeberin sah darin eine üble Nachrede i.S.v. § 186 StGB. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, u.a. weil eine ausdrückliche Abmahnung unterblieben sei.
Die Beklagte war der Ansicht, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass eine Abmahnung nicht zu einer Besserung geführt hätte. Dies belege das Verhalten der Klägerin nach der E-Mail. Das Arbeitsgericht habe widersprüchlich argumentiert, da es außer einer Abmahnung weitere Maßnahmen für erforderlich gehalten habe, um die Klägerin zu vertragsgemäßem Verhalten zu veranlassen.
Die Berufung der Beklagten blieb vor dem LAG erfolglos. Allerdings wurde die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BAG unter dem Az. 2 AZR 356/21 anhängig.
Die Gründe:
Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, weil sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Absatz 2 KSchG).
Die Adressierung eines Schreibens mit Kritik am Arbeitgeber an die Konzernmutter ohne den vorherigen Versuch einer unternehmensinternen Klärung stellt zwar eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dar. Diese rechtfertigt allerdings in der Regel eine Kündigung nicht ohne vorherige Abmahnung. Aufforderungen des Arbeitgebers zu einem Verhalten Stellung zu nehmen erfüllen dabei nicht die Funktion der Abmahnung, auch wenn sie die Missbilligung des Verhaltens durch den Arbeitgeber deutlich zum Ausdruck bringen.
Infolgedessen meinte die Beklagte zu Unrecht, die unmittelbare Adressierung der E-Mail vom 8.4.2019 an die Konzernmutter, rechtfertige eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Die Beklagte verkennt dabei, dass steuerbares Verhalten eines Arbeitnehmers in aller Regel nur nach erfolgloser einschlägiger Abmahnung eine Kündigung rechtfertigt (vgl. BAG v. 20.11.2014 - 2 AZR 651/13). Eine wirksame Abmahnung setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer das vom Arbeitgeber als pflichtwidrig bewertete Verhalten konkret vor Augen geführt wird und für den Wiederholungsfall Konsequenzen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt werden. Die von der Beklagten dargestellten "Warnschüsse" durch Aufforderungen zu Stellungnahme durch die Beklagte bzw. ihre Prozessbevollmächtigten waren allenfalls in der Lage, die Rügefunktion zu erfüllen. Es fehlte aber an einer förmlichen Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen. Ohne diese Warnung waren aber auch die folgenden Äußerungen der Klägerin nicht geeignet, die für jede Kündigung erforderliche negative Prognose zu rechtfertigen.
Auch der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet. Nach § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Für das Vorliegen von Auflösungsgründen trägt der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast. Nach teilweise vertretener Ansicht soll für den Beweis des Kündigungsgrundes zwar etwas anderes gelten, wenn dem Arbeitnehmer eine übliche Nachrede i.S.v. § 186 StGB vorgeworfen wird (LAG Baden-Württemberg v. 14.03.2019 - 17 Sa 52/18). Dies wird mit einem ansonsten zu befürchtenden Wertungswiderspruch zum Strafrecht begründet und wäre auf die Beweislastverteilung bei Auflösungsanträgen ggf. übertragbar.
Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 186 StGB ist aber lediglich, dass der Erklärende die Ehrenrührigkeit seiner Tatsachenbehauptung erkannt hat. Deren Unrichtigkeit muss der Erklärende weder positiv kennen noch fahrlässig verkennen Ob eine derartige Risikoverlagerung zu Lasten des Arbeitnehmers im Kündigungsrecht generell vertretbar ist, erscheint nach Auffassung der Kammer zweifelhaft. Strafrechtliche und vertragsrechtliche Fragen können durchaus unterschiedlichen Regeln folgen. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung von Pflichtverletzungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG die strafrechtliche Bewertung nicht maßgeblich (vgl. BAG v. 25.11.2010 - 2 AZR 801/09). Das dürfte für prozessuale Fragen nicht anders zu beurteilen sein.
Infolgedessen trägt für Tatsachen, welche die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gem. § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG rechtfertigen sollen, der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast auch dann wenn es sich um eine üble Nachrede i.S.v. § 186 StGB handelt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der behaupteten Tatsache einer Person bekannt ist, deren Wissen der Arbeitgeberin zuzurechnen ist.
Linkhinweis:
Mehr zum Thema finden Sie in unserem Arbeitsrecht Kommentar Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), 9. Auflage 2020 - Otto Schmidt online.
Landesrecht Hamburg
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten, die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin sowie einen Auflösungsantrag der Beklagten. Grund für die Kündigung war eine an den Vorstand der Muttergesellschaft gerichtete E-Mail vom 8.4.2019. Die beklagte Arbeitgeberin sah darin eine üble Nachrede i.S.v. § 186 StGB. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, u.a. weil eine ausdrückliche Abmahnung unterblieben sei.
Die Beklagte war der Ansicht, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass eine Abmahnung nicht zu einer Besserung geführt hätte. Dies belege das Verhalten der Klägerin nach der E-Mail. Das Arbeitsgericht habe widersprüchlich argumentiert, da es außer einer Abmahnung weitere Maßnahmen für erforderlich gehalten habe, um die Klägerin zu vertragsgemäßem Verhalten zu veranlassen.
Die Berufung der Beklagten blieb vor dem LAG erfolglos. Allerdings wurde die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BAG unter dem Az. 2 AZR 356/21 anhängig.
Die Gründe:
Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, weil sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Absatz 2 KSchG).
Die Adressierung eines Schreibens mit Kritik am Arbeitgeber an die Konzernmutter ohne den vorherigen Versuch einer unternehmensinternen Klärung stellt zwar eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dar. Diese rechtfertigt allerdings in der Regel eine Kündigung nicht ohne vorherige Abmahnung. Aufforderungen des Arbeitgebers zu einem Verhalten Stellung zu nehmen erfüllen dabei nicht die Funktion der Abmahnung, auch wenn sie die Missbilligung des Verhaltens durch den Arbeitgeber deutlich zum Ausdruck bringen.
Infolgedessen meinte die Beklagte zu Unrecht, die unmittelbare Adressierung der E-Mail vom 8.4.2019 an die Konzernmutter, rechtfertige eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Die Beklagte verkennt dabei, dass steuerbares Verhalten eines Arbeitnehmers in aller Regel nur nach erfolgloser einschlägiger Abmahnung eine Kündigung rechtfertigt (vgl. BAG v. 20.11.2014 - 2 AZR 651/13). Eine wirksame Abmahnung setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer das vom Arbeitgeber als pflichtwidrig bewertete Verhalten konkret vor Augen geführt wird und für den Wiederholungsfall Konsequenzen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt werden. Die von der Beklagten dargestellten "Warnschüsse" durch Aufforderungen zu Stellungnahme durch die Beklagte bzw. ihre Prozessbevollmächtigten waren allenfalls in der Lage, die Rügefunktion zu erfüllen. Es fehlte aber an einer förmlichen Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen. Ohne diese Warnung waren aber auch die folgenden Äußerungen der Klägerin nicht geeignet, die für jede Kündigung erforderliche negative Prognose zu rechtfertigen.
Auch der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet. Nach § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Für das Vorliegen von Auflösungsgründen trägt der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast. Nach teilweise vertretener Ansicht soll für den Beweis des Kündigungsgrundes zwar etwas anderes gelten, wenn dem Arbeitnehmer eine übliche Nachrede i.S.v. § 186 StGB vorgeworfen wird (LAG Baden-Württemberg v. 14.03.2019 - 17 Sa 52/18). Dies wird mit einem ansonsten zu befürchtenden Wertungswiderspruch zum Strafrecht begründet und wäre auf die Beweislastverteilung bei Auflösungsanträgen ggf. übertragbar.
Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 186 StGB ist aber lediglich, dass der Erklärende die Ehrenrührigkeit seiner Tatsachenbehauptung erkannt hat. Deren Unrichtigkeit muss der Erklärende weder positiv kennen noch fahrlässig verkennen Ob eine derartige Risikoverlagerung zu Lasten des Arbeitnehmers im Kündigungsrecht generell vertretbar ist, erscheint nach Auffassung der Kammer zweifelhaft. Strafrechtliche und vertragsrechtliche Fragen können durchaus unterschiedlichen Regeln folgen. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung von Pflichtverletzungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG die strafrechtliche Bewertung nicht maßgeblich (vgl. BAG v. 25.11.2010 - 2 AZR 801/09). Das dürfte für prozessuale Fragen nicht anders zu beurteilen sein.
Infolgedessen trägt für Tatsachen, welche die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gem. § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG rechtfertigen sollen, der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast auch dann wenn es sich um eine üble Nachrede i.S.v. § 186 StGB handelt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der behaupteten Tatsache einer Person bekannt ist, deren Wissen der Arbeitgeberin zuzurechnen ist.
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