Aufrechnung gegen Bruttolohnforderung - Gesetzliche Pfändungsbeschränkungen sind auch ohne Rüge des Arbeitnehmers zu berücksichtigen
LAG Hamm v. 30.6.2022 - 5 Sa 1367/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger war vom 1.9.2019 bis zum 17.9.2020 bei der Beklagten als Küchen- und Möbelmonteur zu einem Festgehalt von 3.200 € brutto eingestellt. Die Montage vor Ort nahm der Kläger grundsätzlich mit einem weiteren Mitarbeiter vor. Der Kläger arbeitete für Aufträge des Einrichtungshauses A GmbH & Co.KG. Werden von Mitarbeitern des Beklagten bei Kunden des Einrichtungshauses die Küchen oder Möbel beschädigt oder falsch montiert, gibt das Einrichtungshaus A GmbH & Co.KG. diese Belastung an den Beklagten weiter.
Mit der Abrechnung für August 2020 wurde vom Nettoverdienst des Klägers ein Betrag i.H.v. 1.166 € netto in Abzug gebracht. Als Bezeichnung wurde in der Abrechnung angegeben "Abzug verursachter Schaden". Der Beklagte trug vor, der Abzug sei gerechtfertigt, weil der Kläger schwerste Montage- und Ausführungsfehler getätigt habe oder zumindest grob fahrlässig bzw. einfach in Kauf genommen habe.
Dem Kläger standen für das Jahr 2020 insgesamt 22,5 Urlaubstage zu. Zwischen den Parteien blieb streitig, wie viele Urlaubstage der Kläger genommen hatte. Der Kläger hat behauptet, er habe 15 Urlaubstage genommen. 7,5 Arbeitstage seien daher noch zu erstatten.
Der Kläger machte gegenüber der Beklagten die Erstattung des Abzugs von 1.166 € netto sowie Zahlung von 1.108 € brutto für die 7,5 Urlaubstage geltend. Die Beklagte beantragte widerklagend die Erstattung weiterer Belastungen durch Montage- und Ausführungsfehler des Klägers. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt.
Die Gründe:
Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Widerklage der Beklagten abgewiesen.
Grundsätzlich kann der Arbeitgeber zwar bei Vorhandensein einer fälligen Gegenforderung gegenüber dem Entgeltanspruch des Arbeitnehmers die Aufrechnung (§ 387 BGB) erklären. Hier hatte er aber gem. § 394 BGB die Pfändungsgrenzen zu beachten. Die Norm schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Dieser ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850c Abs. 2 ZPO.
Die gesetzlichen Pfändungsbeschränkungen sind auch ohne eine Rüge des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Rechnet der Arbeitgeber gegen Arbeitseinkommen auf, obliegt es ihm vorzutragen, dass die Aufrechnung unter Beachtung der Pfändungsschutzvorschriften erfolgt, denn die Befugnis des Arbeitgebers, gegen den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers aufzurechnen, ist integraler Teil des Erfüllungseinwands, den der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeber dem Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers entgegenhalten kann. Dieses ist vorliegend nicht erfolgt.
Soweit der Vortrag des Beklagten dahingehend zu verstehen war, dass eine Aufrechnung gegen Urlaubsabgeltungsansprüche geltend gemacht werden sollte, war eine solche von vornherein unzulässig. Aufgerechnet werden kann nämlich nur gegen Nettolohnforderungen des Arbeitnehmers. Andernfalls wäre nicht klar, in welcher Höhe das Gericht über die Gegenforderung entschieden hat. Nach § 322 Abs. 2 ZPO ist "die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig". Der Umfang der Rechtskraft darf aber nicht unklar bleiben. Auch wenn die Klage aufgrund der Aufrechnung abgewiesen werden soll, muss feststehen, in welcher Höhe die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung erloschen ist. Das wäre bei der von der Beklagten erklärten Aufrechnung nicht der Fall. Dieser steht bereits der Umstand entgegen, dass ohne Kenntnis der Nettoforderung nicht ermittelbar ist, welcher Anteil der Nettoforderung pfändbar ist.
Letztlich war die Widerklage auch abzuweisen, da der Beklagte das Vorliegen eines einen Schadensersatzanspruch begründenden Verhaltens nicht dargelegt hatte.
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Justiz NRW
Der Kläger war vom 1.9.2019 bis zum 17.9.2020 bei der Beklagten als Küchen- und Möbelmonteur zu einem Festgehalt von 3.200 € brutto eingestellt. Die Montage vor Ort nahm der Kläger grundsätzlich mit einem weiteren Mitarbeiter vor. Der Kläger arbeitete für Aufträge des Einrichtungshauses A GmbH & Co.KG. Werden von Mitarbeitern des Beklagten bei Kunden des Einrichtungshauses die Küchen oder Möbel beschädigt oder falsch montiert, gibt das Einrichtungshaus A GmbH & Co.KG. diese Belastung an den Beklagten weiter.
Mit der Abrechnung für August 2020 wurde vom Nettoverdienst des Klägers ein Betrag i.H.v. 1.166 € netto in Abzug gebracht. Als Bezeichnung wurde in der Abrechnung angegeben "Abzug verursachter Schaden". Der Beklagte trug vor, der Abzug sei gerechtfertigt, weil der Kläger schwerste Montage- und Ausführungsfehler getätigt habe oder zumindest grob fahrlässig bzw. einfach in Kauf genommen habe.
Dem Kläger standen für das Jahr 2020 insgesamt 22,5 Urlaubstage zu. Zwischen den Parteien blieb streitig, wie viele Urlaubstage der Kläger genommen hatte. Der Kläger hat behauptet, er habe 15 Urlaubstage genommen. 7,5 Arbeitstage seien daher noch zu erstatten.
Der Kläger machte gegenüber der Beklagten die Erstattung des Abzugs von 1.166 € netto sowie Zahlung von 1.108 € brutto für die 7,5 Urlaubstage geltend. Die Beklagte beantragte widerklagend die Erstattung weiterer Belastungen durch Montage- und Ausführungsfehler des Klägers. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt.
Die Gründe:
Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Widerklage der Beklagten abgewiesen.
Grundsätzlich kann der Arbeitgeber zwar bei Vorhandensein einer fälligen Gegenforderung gegenüber dem Entgeltanspruch des Arbeitnehmers die Aufrechnung (§ 387 BGB) erklären. Hier hatte er aber gem. § 394 BGB die Pfändungsgrenzen zu beachten. Die Norm schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Dieser ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850c Abs. 2 ZPO.
Die gesetzlichen Pfändungsbeschränkungen sind auch ohne eine Rüge des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Rechnet der Arbeitgeber gegen Arbeitseinkommen auf, obliegt es ihm vorzutragen, dass die Aufrechnung unter Beachtung der Pfändungsschutzvorschriften erfolgt, denn die Befugnis des Arbeitgebers, gegen den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers aufzurechnen, ist integraler Teil des Erfüllungseinwands, den der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeber dem Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers entgegenhalten kann. Dieses ist vorliegend nicht erfolgt.
Soweit der Vortrag des Beklagten dahingehend zu verstehen war, dass eine Aufrechnung gegen Urlaubsabgeltungsansprüche geltend gemacht werden sollte, war eine solche von vornherein unzulässig. Aufgerechnet werden kann nämlich nur gegen Nettolohnforderungen des Arbeitnehmers. Andernfalls wäre nicht klar, in welcher Höhe das Gericht über die Gegenforderung entschieden hat. Nach § 322 Abs. 2 ZPO ist "die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig". Der Umfang der Rechtskraft darf aber nicht unklar bleiben. Auch wenn die Klage aufgrund der Aufrechnung abgewiesen werden soll, muss feststehen, in welcher Höhe die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung erloschen ist. Das wäre bei der von der Beklagten erklärten Aufrechnung nicht der Fall. Dieser steht bereits der Umstand entgegen, dass ohne Kenntnis der Nettoforderung nicht ermittelbar ist, welcher Anteil der Nettoforderung pfändbar ist.
Letztlich war die Widerklage auch abzuweisen, da der Beklagte das Vorliegen eines einen Schadensersatzanspruch begründenden Verhaltens nicht dargelegt hatte.
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