Auslegung einer Ausgleichsklausel in einem Aufhebungsvertrag - Aufrechnung wegen früherer Gehaltsüberzahlung
LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 20.4.2022 - 5 Sa 100/21
Der Sachverhalt:
Die 41-jährige Klägerin arbeitete seit 2009 bei der Beklagten, seit Mai 2017 als Assistentin der Herstellungsleitung bei 30 Stunden die Woche und einem monatlichen Gehalt von 1.550 € brutto. Im Mai 2020 erkrankte die Klägerin. Für den Zeitraum vom 5.5.2020 bis 12.6.2020 stellte eine Allgemeinmedizinerin ihr eine Erst- und später eine Folgebescheinigung mit der Diagnose u.a. "Leichte depressive Episode" aus. Ein Orthopäde erteilte der Klägerin eine Erstbescheinigung vom 15.6.2020 bis 29.6.2020 mit der Diagnose u.a. "Schwindelsyndrome". Die Folgebescheinigungen hierzu erstreckten sich bis zum 31.7.2020.
Da die Klägerin am 16.6.2020 bereits mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war, erkundigte sich die Beklagte bei der Krankenkasse nach den Krankheitsursachen. Die Krankenkasse sah die Beklagte wegen einer ab 15.6.2020 neu aufgetretenen Erkrankung in der Pflicht, weiterhin Entgeltfortzahlung zu leisten. Die Beklagte zahlte daraufhin das Gehalt der Klägerin bis einschließlich 26.7.2020 fort. Für den Zeitraum vom 3.8.2020 bis zum 28.8.2020 erhielt die Klägerin mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von zwei HNO-Praxen. Am 28.8.2020 folgte wiederum ein AU-Bescheid von der Allgemeinmedizinerin und zwar als Folgebescheinigung bezogen auf den 5.5.2020. Eine Praxis für Psychotherapie bezog sich in ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 31.8.2020, die zunächst bis zum 29.9.2020 reichte und später auf den 31.10.2020 verlängert wurde, ebenfalls auf einen Krankheitsbeginn am 5.5.2020.
Die Beklagte korrigierte daraufhin die Lohnabrechnungen für die Monate Juni sowie Juli 2020. Die Parteien schlossen am 15.10./27.10.2020 eine Aufhebungsvereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2020 beendet werden sollte. Unter § 4 wurde folgende Ausgleichsklausel vereinbart:
"Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit der Erfüllung dieser Aufhebungsvereinbarung sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt, vollständig erledigt sind."
Die Beklagte kürzte daraufhin den Nettoverdienst um die Nettoüberzahlung aus den Nachberechnungen für die Monate Juni und Juli 2020 von rund 1.474 €. Die Klägerin war der Ansicht, dass ihr auch im Zeitraum 15.6.2020 bis 26.7.2020 Entgeltfortzahlung zu gewähren sei, da es sich um eine neue Erkrankung gehandelt habe. Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG die Entscheidung abgeändert und die Beklagte verurteilt, den zuvor gekürzten Betrag an die Klägerin auszuzahlen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat aus § 611a Abs. 2 BGB einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des abgerechneten Arbeitsentgelts für den Monat Oktober 2020 in voller Höhe. Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch Aufrechnung erloschen (§ 389 BGB). Es fehlte nämlich an einem Anspruch der Beklagten, der demjenigen der Klägerin entgegengestellt werden konnte. Die Beklagte konnte nicht die Rückzahlung der im Zeitraum 16.6. bis 26.7.2020 geleisteten Entgeltfortzahlung verlangen.
Die Parteien hatten eine Aufhebungsvereinbarung mit Ausgleichsklausel getroffen. Die Regelung erfasste auch einen evtl. Bereicherungsanspruch wegen einer Gehaltsüberzahlung im Juni/Juli 2020. Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine Ausgleichsklausel hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Ausgleichsklauseln in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich oder in einem Aufhebungsvertrag sind im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen. Durch eine Ausgleichsklausel im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wollen die Parteien in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie an diese dachten oder nicht.
Die Klausel "... dass mit der Erfüllung dieser Aufhebungsvereinbarung sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt, vollständig erledigt sind" schließt eine Aufrechnung wegen einer früheren Gehaltsüberzahlung aus, wenn dieser Anspruch der Arbeitgeberin neben den sonstigen Ansprüchen der Parteien nicht gesondert aufgeführt ist. Ob die Parteien bei Abschluss des Aufhebungsvertrages an diesen Anspruch gedacht haben, ist unerheblich. Bekannt war er der Beklagten im vorliegenden Fall jedenfalls zu diesem Zeitpunkt einschließlich der Höhe des überzahlten Betrages. Die Aufrechnung war hier auch nicht deshalb noch möglich, weil die Parteien vereinbart hatten, dass das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß und entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelungen abgerechnet wird und die sich ergebenden Nettobeträge ausgezahlt werden.
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Die 41-jährige Klägerin arbeitete seit 2009 bei der Beklagten, seit Mai 2017 als Assistentin der Herstellungsleitung bei 30 Stunden die Woche und einem monatlichen Gehalt von 1.550 € brutto. Im Mai 2020 erkrankte die Klägerin. Für den Zeitraum vom 5.5.2020 bis 12.6.2020 stellte eine Allgemeinmedizinerin ihr eine Erst- und später eine Folgebescheinigung mit der Diagnose u.a. "Leichte depressive Episode" aus. Ein Orthopäde erteilte der Klägerin eine Erstbescheinigung vom 15.6.2020 bis 29.6.2020 mit der Diagnose u.a. "Schwindelsyndrome". Die Folgebescheinigungen hierzu erstreckten sich bis zum 31.7.2020.
Da die Klägerin am 16.6.2020 bereits mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war, erkundigte sich die Beklagte bei der Krankenkasse nach den Krankheitsursachen. Die Krankenkasse sah die Beklagte wegen einer ab 15.6.2020 neu aufgetretenen Erkrankung in der Pflicht, weiterhin Entgeltfortzahlung zu leisten. Die Beklagte zahlte daraufhin das Gehalt der Klägerin bis einschließlich 26.7.2020 fort. Für den Zeitraum vom 3.8.2020 bis zum 28.8.2020 erhielt die Klägerin mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von zwei HNO-Praxen. Am 28.8.2020 folgte wiederum ein AU-Bescheid von der Allgemeinmedizinerin und zwar als Folgebescheinigung bezogen auf den 5.5.2020. Eine Praxis für Psychotherapie bezog sich in ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 31.8.2020, die zunächst bis zum 29.9.2020 reichte und später auf den 31.10.2020 verlängert wurde, ebenfalls auf einen Krankheitsbeginn am 5.5.2020.
Die Beklagte korrigierte daraufhin die Lohnabrechnungen für die Monate Juni sowie Juli 2020. Die Parteien schlossen am 15.10./27.10.2020 eine Aufhebungsvereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2020 beendet werden sollte. Unter § 4 wurde folgende Ausgleichsklausel vereinbart:
"Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit der Erfüllung dieser Aufhebungsvereinbarung sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt, vollständig erledigt sind."
Die Beklagte kürzte daraufhin den Nettoverdienst um die Nettoüberzahlung aus den Nachberechnungen für die Monate Juni und Juli 2020 von rund 1.474 €. Die Klägerin war der Ansicht, dass ihr auch im Zeitraum 15.6.2020 bis 26.7.2020 Entgeltfortzahlung zu gewähren sei, da es sich um eine neue Erkrankung gehandelt habe. Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG die Entscheidung abgeändert und die Beklagte verurteilt, den zuvor gekürzten Betrag an die Klägerin auszuzahlen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat aus § 611a Abs. 2 BGB einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des abgerechneten Arbeitsentgelts für den Monat Oktober 2020 in voller Höhe. Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch Aufrechnung erloschen (§ 389 BGB). Es fehlte nämlich an einem Anspruch der Beklagten, der demjenigen der Klägerin entgegengestellt werden konnte. Die Beklagte konnte nicht die Rückzahlung der im Zeitraum 16.6. bis 26.7.2020 geleisteten Entgeltfortzahlung verlangen.
Die Parteien hatten eine Aufhebungsvereinbarung mit Ausgleichsklausel getroffen. Die Regelung erfasste auch einen evtl. Bereicherungsanspruch wegen einer Gehaltsüberzahlung im Juni/Juli 2020. Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine Ausgleichsklausel hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Ausgleichsklauseln in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich oder in einem Aufhebungsvertrag sind im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen. Durch eine Ausgleichsklausel im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wollen die Parteien in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie an diese dachten oder nicht.
Die Klausel "... dass mit der Erfüllung dieser Aufhebungsvereinbarung sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt, vollständig erledigt sind" schließt eine Aufrechnung wegen einer früheren Gehaltsüberzahlung aus, wenn dieser Anspruch der Arbeitgeberin neben den sonstigen Ansprüchen der Parteien nicht gesondert aufgeführt ist. Ob die Parteien bei Abschluss des Aufhebungsvertrages an diesen Anspruch gedacht haben, ist unerheblich. Bekannt war er der Beklagten im vorliegenden Fall jedenfalls zu diesem Zeitpunkt einschließlich der Höhe des überzahlten Betrages. Die Aufrechnung war hier auch nicht deshalb noch möglich, weil die Parteien vereinbart hatten, dass das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß und entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelungen abgerechnet wird und die sich ergebenden Nettobeträge ausgezahlt werden.
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