19.09.2019

Außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB wegen jahrelanger Alkoholerkrankung

Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gem. § 626 BGB kann gerechtfertigt sein, wenn eine negative Gesundheitsprognose vorliegt, aufgrund der Krankheit (hier: eine Alkoholerkrankung) der Arbeitnehmerhin die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen werden und infolge der gebotenen Interessenabwägung die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss.

LAG Berlin-Brandenburg v. 24.7.2019 - 15 Sa 2498/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist bei der beklagten Gewerkschaft als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Sie ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Die Klägerin ist alkoholabhängig. In den letzten 4,15 Kalenderjahren ihrer Anstellung war sie an 983 Tagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig, mithin durchschnittlich 236 Tage pro Jahr. In dieser Zeit führte die Klägerin einige Entwöhnungsversuche durch, die sie entweder frühzeitig abbrach oder sie bald wieder rückfällig wurde. Die auf Basis der "Gesamtbetriebsvereinbarung zur Betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe" (GBV Sucht) geplanten Gespräche fanden größtenteils nicht statt, da die Klägerin entweder nicht erschien oder kurzfristig  abgesagt hatte. Einige Monate vor der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beklagten, der zwei Abmahnungen zuvorgekommen waren, lieferte der Sohn der Klägerin diese wegen Alkoholmissbrauchs in eine Klinik ein. Die Klägerin war in den letzten 4,15 Jahren vor ihrer Kündigung 16 Mal stationär im Krankenhaus aufgenommen worden.

Die Klägerin setzt sich mit ihrer Klage gegen die Kündigung zu Wehr. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das LAG das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Die Kündigung der Klägerin ist gem. § 626 BGB wirksam.

Eine außerordentliche Kündigung kann nach ständiger Rechtsprechung auch i.R.d. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt sein. In Ausnahmefällen kommt eine außerordentliche Kündigung in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist. Allerdings muss dann zu Gunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden.

Die Wirksamkeit einer Kündigung ist auf 3 Stufen zu prüfen. Auf der 1. Stufe ist eine negative Gesundheitsprognose erforderlich, wobei vergangene Erkrankungen indizielle Bedeutung haben. I.R.d. 2. Stufe müssen die prognostizierten Fehlzeiten geeignet sein, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Zuletzt ist auf 3. Stufe zu prüfen, ob die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss.

Bei Anwendung dieser Kriterien stellt sich die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist als gerechtfertigt gem. § 626 BGB dar. Bezüglich der 1. Stufe ist festzustellen, dass die Klägerin über die vergangenen 4,15 Kalenderjahre hinweg durchschnittlich 236 von 261 Tagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Dieser Wert ist prognosefähig, da die Klägerin nicht geltend machte, dass ihre Krankheit ausgeheilt sei oder eine Therapie begonnen habe, bei der nunmehr davon auszugehen sei, dass die Alkoholsucht nicht mehr auftreten werde. Es besteht weiterhin eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Bei einem Umfang von ca. 10% der möglichen Arbeitstage mit absteigender Tendenz ist das Arbeitsverhältnis sinnentleert und es ist völlig unvorhersehbar, wann die Klägerin eine Arbeitsleistung erbringen kann.

Die Interessenabwägung ist auch zulasten der Klägerin vorzunehmen. Hierbei sind zu Gunsten der Klägerin vor allem ihr hohes Lebensalter, die lange Betriebszugehörigkeit, die Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person und die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt insbesondere als Alkoholikerin zu berücksichtigen. Demgegenüber ist jedoch das Interesse der Beklagten als höher einzuschätzen, jedenfalls ein sinnvolles Arbeitsverhältnis durchzuführen zu können. Es kann ihr nicht zugemutet werden, bis zum Renteneintritt ein Arbeitsverhältnis fortzusetzen, von dem sie praktisch nichts hat. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin insgesamt die Möglichkeit hatte, nicht nur mit einer Entwöhnungsmaßnahme, sondern mit insgesamt 3 Entwöhnungsmaßnahmen ihre Alkoholsucht zu bekämpfen. Künftig ist zudem eher mit größeren Schwierigkeiten als mit einer abnehmenden Tendenz zu rechnen.

Linkhinweis:
Für den in der Datenbank der Rechtsprechung von Berlin-Brandenburg veröffentlichten Volltext des Urteils klicken Sie bitte hier.
Berlin-Brandenburg online
Zurück