Bayern und NRW: Gesetzliche Regelungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit verfassungswidrig
BVerfG v. 20.6.2023 - 2 BvR 166/16 u.a.
Der Sachverhalt:
In Bayern und Nordrhein-Westfalen erhalten Strafgefangene für im Strafvollzug geleistete Arbeit ein Arbeitsentgelt. Dieses wird nach Art. 46 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG und § 32 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW als sog. Eckvergütung i.H.v. 9 % der Bezugsgröße - dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Versicherten der Deutschen Rentenversicherung des vorvergangenen Kalenderjahres - bemessen. Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung. In beiden Ländern kann das Arbeitsentgelt je nach Leistung der Gefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75 % der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen der Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen (Art. 46 Abs. 3 BayStVollzG).
Hinzu kommt der nicht monetäre Teil der Vergütung, der in Bayern wie folgt geregelt ist: Haben die Gefangenen zwei Monate lang zusammenhängend gearbeitet, so werden sie auf ihren Antrag hin einen Werktag von der Arbeit freigestellt (Art. 46 Abs. 6 Satz 1 BayStVollzG). In Nordrhein-Westfalen erhalten Gefangene auf Antrag für drei Monate zusammenhängender Ausübung einer Arbeit oder einer Hilfstätigkeit zwei Tage Freistellung von der Arbeitspflicht oder Langzeitausgang (§ 34 Abs. 1 StVollzG NRW). Wird ein solcher Antrag nicht gestellt oder kann die Freistellung nicht gewährt werden, so werden die Freistellungstage auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet.
Der Beschwerdeführer zu 1) verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing in Bayern. Der Beschwerdeführer zu 2) befand sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen. Der Beschwerdeführer zu 1) arbeitete in einer anstaltseigenen Druckerei, der Beschwerdeführer zu 2) als Kabelzerleger in einem entsprechenden Betrieb. Die Beschwerdeführer beantragten jeweils eine Erhöhung ihres Arbeitsentgelts. Die Justizvollzugsanstalten Straubing und Werl lehnten die Anträge ab. Die von den Beschwerdeführern dagegen vor den Fachgerichten eingelegten Rechtsbehelfe blieben erfolglos.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die landesgesetzlichen Bestimmungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit. Mit Blick auf die nach ihrer Ansicht zu niedrige Entlohnung rügen sie einen Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot.
Die Verfassungsbeschwerden hatten vor dem BVerfG Erfolg.
Die Gründe:
Art. 46 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG) und § 32 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen (StVollzG NRW) sind mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Diese landesrechtlichen Vorschriften regeln die Vergütung, die Gefangene im Strafvollzug für dort erbrachte Arbeitsleistung erhalten.
Die Konzepte zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots im BayStVollzG und im StVollzG NRW sind in sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei. Aus den gesetzgeberischen Konzepten kann jeweils nicht nachvollziehbar entnommen werden, welche Bedeutung dem Faktor Arbeit - im Vergleich zu anderen Behandlungsmaßnahmen - zukommen soll, welche Ziele mit dieser Behandlungsmaßnahme erreicht werden sollen und welchen Zwecken die vorgesehene Vergütung für die geleistete Arbeit dienen soll. Zudem ist Wesentliches nicht gesetzlich geregelt. In Bayern und Nordrhein-Westfalen fehlt es jeweils an einer gesetzlichen Regelung zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen, in Bayern zusätzlich an gesetzlichen Vorgaben für den Inhalt der Vollzugspläne. Darüber hinaus findet in beiden Bundesländern keine kontinuierliche, wissenschaftlich begleitete Evaluation der Resozialisierungswirkung von Arbeit und deren Vergütung statt.
Die Vorschriften bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 30.6.2025, weiter anwendbar.
Mehr zum Thema:
Ausführliche Informationen finden Sie auf den Webseiten des BVerfG.
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BVerfG PM Nr. 56 vom 20.6.2023
In Bayern und Nordrhein-Westfalen erhalten Strafgefangene für im Strafvollzug geleistete Arbeit ein Arbeitsentgelt. Dieses wird nach Art. 46 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG und § 32 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW als sog. Eckvergütung i.H.v. 9 % der Bezugsgröße - dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Versicherten der Deutschen Rentenversicherung des vorvergangenen Kalenderjahres - bemessen. Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung. In beiden Ländern kann das Arbeitsentgelt je nach Leistung der Gefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75 % der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen der Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen (Art. 46 Abs. 3 BayStVollzG).
Hinzu kommt der nicht monetäre Teil der Vergütung, der in Bayern wie folgt geregelt ist: Haben die Gefangenen zwei Monate lang zusammenhängend gearbeitet, so werden sie auf ihren Antrag hin einen Werktag von der Arbeit freigestellt (Art. 46 Abs. 6 Satz 1 BayStVollzG). In Nordrhein-Westfalen erhalten Gefangene auf Antrag für drei Monate zusammenhängender Ausübung einer Arbeit oder einer Hilfstätigkeit zwei Tage Freistellung von der Arbeitspflicht oder Langzeitausgang (§ 34 Abs. 1 StVollzG NRW). Wird ein solcher Antrag nicht gestellt oder kann die Freistellung nicht gewährt werden, so werden die Freistellungstage auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet.
Der Beschwerdeführer zu 1) verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing in Bayern. Der Beschwerdeführer zu 2) befand sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen. Der Beschwerdeführer zu 1) arbeitete in einer anstaltseigenen Druckerei, der Beschwerdeführer zu 2) als Kabelzerleger in einem entsprechenden Betrieb. Die Beschwerdeführer beantragten jeweils eine Erhöhung ihres Arbeitsentgelts. Die Justizvollzugsanstalten Straubing und Werl lehnten die Anträge ab. Die von den Beschwerdeführern dagegen vor den Fachgerichten eingelegten Rechtsbehelfe blieben erfolglos.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die landesgesetzlichen Bestimmungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit. Mit Blick auf die nach ihrer Ansicht zu niedrige Entlohnung rügen sie einen Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot.
Die Verfassungsbeschwerden hatten vor dem BVerfG Erfolg.
Die Gründe:
Art. 46 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG) und § 32 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen (StVollzG NRW) sind mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Diese landesrechtlichen Vorschriften regeln die Vergütung, die Gefangene im Strafvollzug für dort erbrachte Arbeitsleistung erhalten.
Die Konzepte zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots im BayStVollzG und im StVollzG NRW sind in sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei. Aus den gesetzgeberischen Konzepten kann jeweils nicht nachvollziehbar entnommen werden, welche Bedeutung dem Faktor Arbeit - im Vergleich zu anderen Behandlungsmaßnahmen - zukommen soll, welche Ziele mit dieser Behandlungsmaßnahme erreicht werden sollen und welchen Zwecken die vorgesehene Vergütung für die geleistete Arbeit dienen soll. Zudem ist Wesentliches nicht gesetzlich geregelt. In Bayern und Nordrhein-Westfalen fehlt es jeweils an einer gesetzlichen Regelung zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen, in Bayern zusätzlich an gesetzlichen Vorgaben für den Inhalt der Vollzugspläne. Darüber hinaus findet in beiden Bundesländern keine kontinuierliche, wissenschaftlich begleitete Evaluation der Resozialisierungswirkung von Arbeit und deren Vergütung statt.
Die Vorschriften bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 30.6.2025, weiter anwendbar.
Ausführliche Informationen finden Sie auf den Webseiten des BVerfG.
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