13.07.2017

Berechtigtes (gerichtlich festgestelltes) Entlassungsverlangen des Betriebsrats nach § 104 BetrVG rechtfertigt ordentliche Kündigung

Entspricht das Gericht in einem Beschlussverfahren nach § 104 S. 2 BetrVG dem Entlassungsverlangen des Betriebsrats, weil die Voraussetzungen des § 104 S. 1 BetrVG vorliegen, liegt ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.v. § 1 Abs. 2 S.1 KSchG vor, das eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers rechtfertigt. Auf das Maß des individuellen Kündigungsschutzes des Arbeitnehmers kommt es nicht an.

BAG 28.3.2017, 2 AZR 551/16
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war bei dem beklagten Versicherungskonzern als Sachbearbeiterin beschäftigt. Im Oktober 2014 und Januar 2015 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und zwei Arbeitskollegen. Der Betriebsrat forderte sodann die Beklagte auf, die Klägerin wegen dieser Auseinandersetzungen zu entlassen, hilfsweise zu versetzen. Die Beklagte kam der Aufforderung des Betriebsrats nicht nach.

Das Arbeitsgericht gab der Beklagten, durch ein vom Betriebsrat eingeleitetes Beschlussverfahren auf, die Klägerin zu entlassen. Diese war im Verfahren angehört worden.

Die Beklagte kündigte aufgrund der gerichtlichen Entscheidung das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.10.2015 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.6.2016. Die Klägerin erhob dagegen Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht und das LAG haben die außerordentliche Kündigung für unwirksam und die ordentliche für wirksam erachtet. Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten waren ohne Erfolg.

Die Gründe:
Die ordentliche Kündigung vom 21.10.2015 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst.
 
1. Für die außerordentliche Kündigung fehlt es  an einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB. Ein solcher wichtiger Grund wird nicht bereits durch dem Beschluss des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren nach § 104 S. 2 BetrVG begründet.
 
Zum einen hatte der Betriebsrat keine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt. Zum anderen ist es den Arbeitsgerichten verwehrt, den Arbeitgeber in einem Beschlussverfahren gem. § 104 S. 2 BetrVG zu einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verpflichten. Die Norm sieht lediglich vor, den Arbeitgeber zu einer Entlassung oder Versetzung zu verpflichten.

2. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis hingegen wirksam zum 30.6.2016 aufgelöst. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Es liegt ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG vor. Die rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren, dass die Beklagte betriebsverfassungsrechtlich dazu verpflichtet, das Arbeitsverhältnis zu beenden, begründet ein solches dringendes betriebliches Erfordernis.

§ 104 BetrVG begründet einen eigenen Anspruch des Betriebsrats - in Ergänzung zu § 75 Abs. 1 und § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG - gegen den Arbeitgeber auf Entlassung oder Versetzung des Arbeitnehmers. Es kommt nicht darauf an, ob eine Kündigung aus Gründen im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt ist, sondern vielmehr gibt die Norm des § 104 BetrVG selbst abschließend die Voraussetzungen für ein wirksames Verlangen des Betriebsrats vor. Allein diese Voraussetzungen des § 104 S. 1 BetrVG - wie bspw. gesetzwidriges Verhalten, welches wiederholt den Betriebsfrieden ernstlich stört - sind bei der Prüfung maßgebend. Wird das Verlangen des Betriebsrats wie im vorliegenden Fall in einem Beschlussverfahren, in dem die Betroffene nach § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligt worden ist, als berechtigt anerkannt, liegt ein dringendes betriebliches Erfordernis vor.

Der Arbeitgeber hat sodann seiner Verpflichtung zur Entlassung nachzukommen, indem er zeitnah nach Rechtskraft der im Beschlussverfahren ergangenen Entscheidung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Beachtung der maßgeblichen Kündigungsfrist herbeiführt.

Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des Bundesarbeitsgerichts veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

BAG online
Zurück