12.04.2021

Darlegung des Anspruchs auf tatsächliche Beschäftigung im einstweiligen Rechtsschutz

Macht der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis im Wege eines Antrags auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung seinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung geltend, muss er im Hinblick auf den Verfügungsgrund kein besonderes Beschäftigungsinteresse darlegen, wenn der Anspruch unzweifelhaft besteht.

LAG Hamm v. 5.2.2021 - 12 SaGa 1/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im einstweiligen Rechtsschutz über die Verpflichtung der Verfügungsbeklagten, den Verfügungskläger tatsächlich zu beschäftigen.

Der Verfügungskläger steht bei der Verfügungsbeklagten aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages in einem Arbeitsverhältnis. Die Verfügungsbeklagte beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis mit dem schwerbehinderten Verfügungskläger zu beenden. Der Verfügungskläger wurde im Januar freigestellt.

Mit einem beim ArbG eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vertritt der Verfügungskläger die Auffassung, er habe aus dem bislang nicht gekündigten Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung. Das ArbG hat den Antrag zurückgewiesen. Der schlichte Zeitablauf könne den Verfügungsgrund nicht begründen.

Das LAG hat der Berufung des Verfügungsklägers stattgegeben.

Die Gründe:
Der Verfügungskläger hat einen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf tatsächliche Beschäftigung aus § 611 a BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag.

Gründe, die dem Anspruch hier entgegenstehen, liegen nicht vor. Ausweislich des Arbeitsvertrages wurde der Verfügungskläger als Mitarbeiter in der Abteilung Profilierung tätig. Die Verfügungsbeklagte hat zwar vorgetragen, dass die Abteilungen Profilierung und Bürsten und Folieren zu einer einzigen Abteilung zusammengefasst worden seien und der Verfügungskläger der Einzige sei, der über keine Berufsausbildung verfüge. Sie habe die Entscheidung getroffen, nunmehr die Mitarbeiter der zusammengefassten Abteilung sowohl an den Profilierungsmaschinen als auch beim Bürsten und Folieren einzusetzen. Dem Verfügungskläger fehle allerdings die Qualifikation, an den Profilierungsmaschinen zu arbeiten.

Diesem Vortrag ist der Verfügungskläger substantiiert entgegen getreten. Die übrigen Mitarbeiter verfügten zum Teil über keine berufsspezifische Ausbildung, sondern seien gelernte Metzger, Schornsteinfeger oder Dachdecker, so dass seine fehlende Berufsausbildung seine Qualifikation nicht in Frage stelle. Zudem habe die Verfügungsbeklagte ihre organisatorische Änderung nicht umgesetzt. Er hat die aktuelle Personalplanung vorgelegt, aus der sich ergibt, dass die Kollegen, die die gleiche Tätigkeit verrichtet haben wie er, nach wie vor nicht für das Profilieren eingesetzt werden. Die für den Wegfall der Einsatzmöglichkeit des Verfügungsklägers darlegungspflichtige Verfügungsbeklagte hat ihr Vorbringen jedoch nicht glaubhaft gemacht, sodass die Frage dahinstehen kann, ob der vertragliche Beschäftigungsanspruch durch die Organisationsänderung überhaupt zu Fall gebracht werden könnte.

Solange die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis noch nicht gekündigt hat, ist sie auch nicht berechtigt, von der im Arbeitsvertrag vorgesehenen Freistellung innerhalb der Kündigungsfrist Gebrauch zu machen.

Dem Verfügungskläger steht auch der erforderliche Verfügungsgrund zur Seite. Die Beantwortung der Frage, welche Anforderungen an den Verfügungsgrund zu stellen sind, hängt letztlich von dem bestehenden Beschäftigungsanspruch, also dem Verfügungsanspruch, ab. Ist die Rechtslage im Hinblick auf das Bestehen des Verfügungsanspruchs eindeutig, muss der Arbeitnehmer kein besonderes Beschäftigungsinteresse darlegen. Denn der Arbeitgeber kann kein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung eines ersichtlich rechtswidrigen Zustandes haben. Die Dringlichkeit folgt im bestehenden Arbeitsverhältnis bereits daraus, dass die verfassungsrechtlich geschützte Position des Arbeitnehmers unwiederbringlich beeinträchtigt wird. So liegt der Fall hier. Nach den obigen Erörterungen zum Verfügungsanspruch hat der Verfügungskläger hier offensichtlich einen Anspruch auf Beschäftigung.
Justiz NRW online
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