18.07.2014

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts: Zur französischen Regelung über Vorteile von Beamten hinsichtlich des Ruhestands

Die französische Regelung über bestimmte Vorteile von Beamten hinsichtlich des Ruhestands führt zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Diese Ungleichbehandlung, die auf einer Bedingung beruht, die Beamtinnen wegen des obligatorischen Mutterschaftsurlaubs stets erfüllen, erscheint nicht gerechtfertigt, weil die zugrunde liegende Regelung dem Bestreben, das legitime sozialpolitische Ziel zu erreichen, auf das sich Frankreich im vorliegenden Fall beruft, offenbar nicht tatsächlich entspricht.

EuGH 17.7.2014, C-173/13
Hintergrund:
Nach dem französischen Recht können Beamte, die Eltern mindestens dreier Kinder sind, die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand mit sofortigem Pensionsanspruch beantragen, wenn sie u.a. ihren Dienst für jedes Kind für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens zwei Monaten unterbrochen haben. Diese Zeit der Nichtausübung des Dienstes kann u.a. die Form eines Mutterschaftsurlaubs, eines Vaterschaftsurlaubs, eines Elternurlaubs oder eines Adoptionsurlaubs haben. Weiter sieht das französische Recht hinsichtlich des Ruhestands für jedes Kind eine Verbesserung beim Dienstalter vor, die an eine ähnliche Bedingung der Unterbrechung der beruflichen Laufbahn geknüpft ist.

Diese Regelungen wurden insbes. im Anschluss an das Urteil Griesmar (EuGH 29.11.2001, C-366/99) erlassen, in dem der EuGH eine französische Vorgängerregelung als unmittelbar diskriminierend befunden hatte, nach der eine solche Verbesserung nur für Beamtinnen vorgesehen war, wodurch männliche Beamte, die nachweisen konnten, dass sie die Erziehung ihrer Kinder wahrgenommen hatten, von dieser Verbesserung ausgeschlossen waren.

Der Sachverhalt:
Der Kläger war als Angehöriger der öffentlichen Krankenhausverwaltung bei den Hospices Civils de Lyon tätig. 2005 beantragte er als Vater von drei Kindern die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand mit sofortigem Pensionsanspruch. Sein Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, er habe seine berufliche Tätigkeit nicht für jedes seiner Kinder unterbrochen.

Herr Leone erhob dagegen Klage, mit der er eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts rügte. Das Unionsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich dazu, die Entgeltgleichheit für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit zu gewährleisten.

Das in Frankreich mit der Sache befasste Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Gründe:
Die französische Regelung findet zwar für Beamte beiderlei Geschlechts Anwendung. Trotz dieser dem Anschein nach bestehenden Neutralität führt das verwendete Kriterium jedoch dazu, dass der in Rede stehende Vorteil prozentual erheblich mehr Frauen als Männern zugute kommt. Angesichts des zwingenden Charakters und der Mindestdauer von zwei Monaten des Mutterschaftsurlaubs in Frankreich können nämlich Beamtinnen den Vorteil der Verbesserung geltend machen. Dagegen sind die Urlaubstatbestände, die auch männliche Beamte geltend machen können, fakultativ und gehen in bestimmten Fällen mit einem Vergütungsausfall und Ausfall des Erwerbs von Pensionsansprüchen einher. Demnach benachteiligt die französische Regelung eine große Zahl männlicher Bediensteter und führt zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

Im Übrigen ist davon auszugehen, dass diese unterschiedliche Behandlung vorliegend nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist. Denn auch wenn das von Frankreich angeführte Ziel (Ausgleich der Nachteile, die männliche und weibliche Bedienstete in der beruflichen Laufbahn durch deren Unterbrechung aufgrund der Geburt eines Kindes, der Aufnahme eines Kindes in den Haushalt oder der Kindererziehung haben) als solches ein legitimes Ziel der Sozialpolitik darstellt, erscheint die in Rede stehende Regelung als zu dessen Erreichung weder geeignet noch erforderlich. Insbes. entspricht die französische Regelung offenbar nicht tatsächlich dem Bestreben, dieses Ziel zu erreichen, und sie wurde auch nicht in kohärenter und systematischer Weise mit Blick darauf durchgeführt.

Im Hinblick auf die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand mit sofortigem Pensionsanspruch kann die Regelung dazu führen, dass sie einem viel höheren Prozentsatz von Frauen als Männern zugute kommt. Dies erscheint nicht gerechtfertigt. Die im Rahmen der Verbesserung beim Dienstalter und bei der Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand mit sofortigem Pensionsanspruch festgestellten Diskriminierungen sind auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Mitgliedstaaten nach dem Unionsrecht befugt sind, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. Die in Rede stehenden Maßnahmen sind nicht dazu geeignet, die Benachteiligungen der Arbeitnehmer durch deren Unterstützung in ihrer beruflichen Laufbahn auszugleichen und damit eine volle Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben konkret zu gewährleisten.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des EuGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.
EuGH PM Nr. 102 vom 17.7.2014
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