Eingruppierung einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin als "sonstige Beschäftigte"
LAG Baden-Württemberg v. 16.1.2023 - 1 Sa 12/22
Der Sachverhalt:
Klägerin ist seit November 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Bei dieser handelt es sich um ein Unternehmen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg eine Trägerin der Behindertenhilfe. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 30.7.1997 zugrunde. Hiernach bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem damaligen Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT). Die Klägerin wurde als Altenpflegerin in der Vergütungsgruppe Kr IV beschäftigt. Zu Beginn war sie in verschiedenen Wohngruppen als Pflegehelferin eingesetzt. Nach der Geburt zweier Kinder und anschließendem Erziehungsurlaub absolvierte die Klägerin von August 1994 bis Juli 1997 eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Anschließend war sie Gruppenleiterin in einer Gruppe im Bereich SGB XI. Hierbei handelt es sich um einen Bereich, in dem schwerstbehinderte pflegebedürftige Menschen versorgt werden.
Im Jahr 2011 wechselte die Klägerin in den Bereich SGB IX. Hier werden behinderte Menschen bis max. zum Pflegegrad 3 betreut. In der Praxis unterscheiden sich die beiden Bereiche danach, dass im Bereich SGB XI eine ständige Nachtwache benötigt wird, während im Bereich SGB IX eine dezentrale Rufbereitschaft genügt. Im März 2011 vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin die Funktion der Gruppenleiterin abgebe und künftig nach der Vergütungsgruppe Kr 7a Stufe 5 der Kr-Anwendungstabelle TVöD vergütet werde. Zum 1.1.2017 wurde die Klägerin in die Entgeltgruppe P 7 Stufe 6 übergeleitet. Seit 2011 nahm die Klägerin an zahlreichen Fortbildungskursen teil, die den Umgang mit behinderten Menschen zum Inhalt hatten.
Im Dezember 2020 machte die Klägerin ihre Eingruppierung nach der Entgelttabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst geltend, was die Beklagte ablehnte. Daraufhin beantragte die Klägerin gerichtlich, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b, hilfsweise S 8a, zu bezahlen. Sie sei zwar keine ausgebildete Heilerziehungspflegerin; sie sei jedoch sonstige Beschäftigte i.S.d. Entgeltgruppe S 8b, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausübe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin ab Januar 2021 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b zu gewähren. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand ursprünglich der BAT Anwendung.
Die Eingruppierung einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin als "sonstige Beschäftigte" i.S.d. Entgruppe S 8b Fallgruppe 1 erfordert, dass sie über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin verfügen muss. Der Erwerb von Fähigkeiten und Erfahrungen auf einem eng begrenzten Teilgebiet des Aufgabenbereichs einer Heilerziehungspflegerin genügt für eine Eingruppierung als "sonstige Beschäftigte" nicht. Aufgrund der inhaltlichen Überschneidungen der Ausbildungen und der Berufsbilder einer Altenpflegerin und Heilerziehungspflegerin sind jedoch Abstufungen bei der Darlegungs- und Beweislast vorzunehmen, wenn es um die streitige Frage der Verwendungsbreite einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin geht.
Sämtliche von der Klägerin in der Wohngruppe verrichteten Tätigkeiten stellten einen "großen" Arbeitsvorgang im Tarifsinn dar. Maßgebend für die Bestimmung ist das Arbeitsergebnis. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber geschaffene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Einzeltätigkeiten können nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein organisatorisch getrennt sind. Hierfür reicht jedoch die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben isoliert auf andere Beschäftigte zu übertragen, nicht aus. Dem Arbeitsvorgang hinzuzurechnen sind sog. Zusammenhangstätigkeiten. Dies sind solche, die aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit bestimmten Aufgaben eines Beschäftigten zur Vermeidung einer tarifwidrigen "Atomisierung" der Arbeitseinheiten nicht abgetrennt werden dürfen. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten.
Infolgedessen bildet die gesamte Tätigkeit der Klägerin einen "großen" Arbeitsvorgang. Eine Aufteilung ihrer Tätigkeiten in administrative Tätigkeiten, pflegerische Tätigkeiten, heilerzieherische Tätigkeiten und Hilfstätigkeiten würde auf eine tarifwidrige "Atomisierung" ihrer Tätigkeit hinauslaufen. Die Klägerin ist die einzige Beschäftigte, die während der jeweiligen Schicht für die Belange der behinderten Menschen Sorge trägt. Es gilt in der Wohngruppe das sog. Bezugspersonensystem. Dies bedeutet, dass die Klägerin für sämtliche Belange der behinderten Menschen während ihrer Schicht verantwortlich ist. Soweit die Beklagte von einem multidisziplinären Ansatz spricht, ist diese Bezeichnung missverständlich. Denn in keinem Fall arbeitet die Klägerin mit einem ausgebildeten Heilerziehungspfleger in der Weise zusammen, dass sie schwerpunktmäßig die pflegerischen Aufgaben und der Heilerziehungspfleger schwerpunktmäßig die pädagogischen Aufgaben übernimmt. Beide Aufgaben fließen ineinander.
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Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Klägerin ist seit November 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Bei dieser handelt es sich um ein Unternehmen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg eine Trägerin der Behindertenhilfe. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 30.7.1997 zugrunde. Hiernach bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem damaligen Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT). Die Klägerin wurde als Altenpflegerin in der Vergütungsgruppe Kr IV beschäftigt. Zu Beginn war sie in verschiedenen Wohngruppen als Pflegehelferin eingesetzt. Nach der Geburt zweier Kinder und anschließendem Erziehungsurlaub absolvierte die Klägerin von August 1994 bis Juli 1997 eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Anschließend war sie Gruppenleiterin in einer Gruppe im Bereich SGB XI. Hierbei handelt es sich um einen Bereich, in dem schwerstbehinderte pflegebedürftige Menschen versorgt werden.
Im Jahr 2011 wechselte die Klägerin in den Bereich SGB IX. Hier werden behinderte Menschen bis max. zum Pflegegrad 3 betreut. In der Praxis unterscheiden sich die beiden Bereiche danach, dass im Bereich SGB XI eine ständige Nachtwache benötigt wird, während im Bereich SGB IX eine dezentrale Rufbereitschaft genügt. Im März 2011 vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin die Funktion der Gruppenleiterin abgebe und künftig nach der Vergütungsgruppe Kr 7a Stufe 5 der Kr-Anwendungstabelle TVöD vergütet werde. Zum 1.1.2017 wurde die Klägerin in die Entgeltgruppe P 7 Stufe 6 übergeleitet. Seit 2011 nahm die Klägerin an zahlreichen Fortbildungskursen teil, die den Umgang mit behinderten Menschen zum Inhalt hatten.
Im Dezember 2020 machte die Klägerin ihre Eingruppierung nach der Entgelttabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst geltend, was die Beklagte ablehnte. Daraufhin beantragte die Klägerin gerichtlich, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b, hilfsweise S 8a, zu bezahlen. Sie sei zwar keine ausgebildete Heilerziehungspflegerin; sie sei jedoch sonstige Beschäftigte i.S.d. Entgeltgruppe S 8b, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausübe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin ab Januar 2021 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b zu gewähren. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand ursprünglich der BAT Anwendung.
Die Eingruppierung einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin als "sonstige Beschäftigte" i.S.d. Entgruppe S 8b Fallgruppe 1 erfordert, dass sie über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin verfügen muss. Der Erwerb von Fähigkeiten und Erfahrungen auf einem eng begrenzten Teilgebiet des Aufgabenbereichs einer Heilerziehungspflegerin genügt für eine Eingruppierung als "sonstige Beschäftigte" nicht. Aufgrund der inhaltlichen Überschneidungen der Ausbildungen und der Berufsbilder einer Altenpflegerin und Heilerziehungspflegerin sind jedoch Abstufungen bei der Darlegungs- und Beweislast vorzunehmen, wenn es um die streitige Frage der Verwendungsbreite einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin geht.
Sämtliche von der Klägerin in der Wohngruppe verrichteten Tätigkeiten stellten einen "großen" Arbeitsvorgang im Tarifsinn dar. Maßgebend für die Bestimmung ist das Arbeitsergebnis. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber geschaffene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Einzeltätigkeiten können nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein organisatorisch getrennt sind. Hierfür reicht jedoch die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben isoliert auf andere Beschäftigte zu übertragen, nicht aus. Dem Arbeitsvorgang hinzuzurechnen sind sog. Zusammenhangstätigkeiten. Dies sind solche, die aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit bestimmten Aufgaben eines Beschäftigten zur Vermeidung einer tarifwidrigen "Atomisierung" der Arbeitseinheiten nicht abgetrennt werden dürfen. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten.
Infolgedessen bildet die gesamte Tätigkeit der Klägerin einen "großen" Arbeitsvorgang. Eine Aufteilung ihrer Tätigkeiten in administrative Tätigkeiten, pflegerische Tätigkeiten, heilerzieherische Tätigkeiten und Hilfstätigkeiten würde auf eine tarifwidrige "Atomisierung" ihrer Tätigkeit hinauslaufen. Die Klägerin ist die einzige Beschäftigte, die während der jeweiligen Schicht für die Belange der behinderten Menschen Sorge trägt. Es gilt in der Wohngruppe das sog. Bezugspersonensystem. Dies bedeutet, dass die Klägerin für sämtliche Belange der behinderten Menschen während ihrer Schicht verantwortlich ist. Soweit die Beklagte von einem multidisziplinären Ansatz spricht, ist diese Bezeichnung missverständlich. Denn in keinem Fall arbeitet die Klägerin mit einem ausgebildeten Heilerziehungspfleger in der Weise zusammen, dass sie schwerpunktmäßig die pflegerischen Aufgaben und der Heilerziehungspfleger schwerpunktmäßig die pädagogischen Aufgaben übernimmt. Beide Aufgaben fließen ineinander.
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