Entlassung wegen Ausfallzeiten im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung verstößt gegen das AGG
LAG Köln 3.6.2014, 12 Sa 911/13Die Arbeitnehmerin ist als Solotänzerin bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Auf das befristete Arbeitsverhältnis ist der "Normalvertrag Bühne" anwendbar. Danach verlängert sich der Arbeitsvertrag automatisch um eine Spielzeit, wenn der Arbeitgeber nicht rechtzeitig eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht.
In der fraglichen Spielzeit war die Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, die abgebrochen werden musste, und einer Kinderwunschbehandlung mehrmals arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitgeberin sprach eine Nichtverlängerungsmitteilung aus, weil die Arbeitnehmerin in der vergangenen Spielzeit schwangerschaftsbedingt nur zu 75 Prozent einsetzbar gewesen sei; in der kommenden Spielzeit sei mit weiteren Ausfällen zu rechnen, die das kleine Ensemble nicht auffangen könne. Zu bedenken sei zudem, dass nach erfolgreicher (Fruchtbarkeits-)Behandlung ggf. eine Schwangerschaft anstehe.
Die Klägerin sah in der Entlassung eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Auf ihre Klage entschied das Bühnenoberschiedsgericht, dass das Arbeitsverhältnis durch die Nichtverlängerungsmitteilung nicht beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht. Der hiergegen gerichtete Antrag der Arbeitgeberin auf Aufhebung des Schiedsspruchs hatte vor dem LAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Nichtverlängerungsmitteilung ist wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts nach § 134 BGB i.V.m. §§ 1, 3, 7 Abs. 1 AGG unwirksam.
Der Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Frage der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund tariflicher Befristung infolge wirksamer Nichtverlängerungsmitteilung betrifft ebenso "Entlassungsbedingungen" i.S.v. § 2 Nr. 1 AGG wie die Frage der Wirksamkeit einer individualvertraglichen Befristungsabrede.
Der EuGH hat schon 1998 entschieden, dass die Schwangerschaft als der hauptsächliche Grund für eine Entlassung anzusehen ist, wenn eine Arbeitnehmerin aufgrund von Fehlzeiten gekündigt wird, die sich aus ihrer durch die Schwangerschaft bedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben. Entsprechendes gilt für Ausfallzeiten infolge einer In-Vitro-Fertilisation.
Nach diesen Grundsätzen liegt hier eine unmittelbare Benachteiligung wegen einer (angestrebten) Schwangerschaft und damit wegen des Geschlechts vor. Denn die Arbeitgeberin hat den Arbeitsvertrag nicht verlängert, weil sie eine fortdauernde Beeinträchtigung der Einsatz- und Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerin gerade aufgrund weiterer Schwangerschaften bzw. Behandlungsversuche befürchtete. Aus dem Gesichtspunkt der von der Arbeitgeberin bemühten Kunstfreiheit ergibt sich nichts anderes.
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