12.09.2014

Erwerber sind auch an im Zeitpunkt des Betriebsübergangs nachwirkende Tarifverträge gebunden

Bei einem Betriebsübergang tritt der Erwerber nicht nur in Rechte und Pflichten aus zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs unmittelbar geltende Tarifverträge ein. Vielmehr ist er auch an zu diesem Zeitpunkt bereits gekündigte, aber noch nachwirkende Tarifverträge gebunden. Die Bindung hält an, bis für die betroffenen Arbeitsverhältnisse ein neuer Tarifvertrag gilt oder mit den Arbeitnehmern eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.

EuGH 11.9.2014, C-328/13
Der Sachverhalt:
Ein österreichischer Arbeitgeberverband hatte mit einer Gewerkschaft für die Muttergesellschaft eines Konzerns der Luftfahrtbranche einen für die Arbeitnehmer deutlich günstigeren Tarifvertrag geschlossen als für die Tochtergesellschaft.

Um Betriebsverluste abzubauen, beschloss die Muttergesellschaft, ihren Flugbetrieb in Form eines Betriebsübergangs in die Tochtergesellschaft einzubringen. Zuvor kündigte sie den Tarifvertrag für die Muttergesellschaft, woraufhin die Gewerkschaft zum selben Termin den Tarifvertrag für die Tochtergesellschaft kündigte. Die Tochtergesellschaft wandte sodann auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse einseitig von ihr erlassene Unternehmensrichtlinien an, die zu einer erheblichen Kürzung der Gehälter der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer geführt haben sollen.

Die Gewerkschaft machte vor dem Obersten Gerichtshof (Österreich) geltend, dass der gekündigte Tarifvertrag der Muttergesellschaft gemäß der Nachwirkungsregelung des § 13 ArbVG für alle übergegangenen Arbeitnehmer gelten müsse, da die Tochtergesellschaft an keinen geltenden Tarifvertrag mehr gebunden sei. Der Oberste Gerichtshof setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23 auch kraft nationalen Rechts nachwirkende Tarifverträge erfasst. Der EuGH bejahte dies.

Die Gründe:
Tariflich vereinbarte Arbeitsbedingungen binden den Betriebserwerber nach Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23 auch dann, wenn der Tarifvertrag vor dem Betriebsübergang gekündigt wurde, seine Normen aber kraft nationaler Regelung nachwirken. Die Bindung hält an, bis für die betroffenen Arbeitsverhältnisse ein neuer Tarifvertrag wirksam oder mit den Arbeitnehmern eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.

Nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23 muss der Erwerber nach dem Betriebsübergang die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrechterhalten, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.

Diese Norm ist dahingehend auszulegen, dass sie die Aufrechterhaltung der kollektivvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen gebietet, ohne dass es auf den spezifischen Ursprung ihrer Geltung ankäme. Kollektivvertraglich vereinbarte Arbeitsbedingungen fallen daher grds. unabhängig davon, mit welcher Technik ihre Geltung für die Beteiligten erreicht wird, unter Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23. Insoweit genügt es, dass Arbeitsbedingungen in einem Kollektivvertrag vereinbart wurden und den Erwerber und die übergegangenen Arbeitnehmer tatsächlich binden.

Kollektivvertraglich festgelegte Arbeitsbedingungen sind folglich nicht schon deshalb vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgenommen, weil sie für die Beteiligten aufgrund einer Vorschrift über die Nachwirkung von Kollektivverträgen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, gelten. Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, einen plötzlichen Bruch des für das Arbeitsverhältnis geltenden kollektivrechtlichen Rahmens zu verhindern.

Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

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