EuGH-Generalanwalt zu den Rechten von Leiharbeitnehmern
EuGH, C-232/20, Schlussantrag des Generalanwalts v. 9.9.2021
Der Sachverhalt:
Ein Leiharbeitnehmer, der fast fünf Jahre (vom 1.9.2014 bis 31.5.2019) bei der Daimler AG in der Motorenfertigung eingesetzt war, ohne dass ein Vertretungsfall vorgelegen hätte, macht vor dem LAG Berlin-Brandenburg geltend, dass die Überlassung nicht nur vorübergehend gewesen sei und daher ein Arbeitsverhältnis direkt mit Daimler zustande gekommen sei.
Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sieht seit dem 1.4.2017 vor, dass bei Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer (gesetzlich 18 aufeinander folgende Monate, tarifvertraglich kann eine abweichende Dauer festgelegt werden) ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande kommt. Allerdings werden (gemäß einer Übergangsvorschrift) Überlassungszeiten vor dem 1.4.2017 bei der Berechnung der Überlassungsdauer nicht berücksichtigt.
Das LAG ersuchte den EuGH in diesem Zusammenhang um Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104. Es bat u.a. um Klärung des Begriffs "vorübergehend" und der Folgen, falls die Überlassung nicht mehr vorübergehend sein sollte.
In seinen Schlussanträgen vertritt Generalanwalt Tanchev die Ansicht, dass sich der Begriff "vorübergehend" nur auf die Zeiten der Überlassung des betreffenden Leiharbeitnehmers, nicht aber auf den Arbeitsplatz, auf dem er eingesetzt wird, bezieht - jedoch auch die Art der Arbeit bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen sei, ob es sich um einen gegen Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 verstoßenden missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit handelt.
Die Gründe:
Das englische Wort "temporarily" (= vorübergehend) in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 bedeutet "lasting for only a limited period of time" (= nur für eine beschränkte Dauer), "not permanent" (= nicht dauerhaft), bezieht sich jedoch nur auf die Zeiten der Überlassung des betreffenden Leiharbeitnehmers, nicht aber auf den Arbeitsplatz, auf dem er eingesetzt wird; folglich sind dauerhaft vorhandene Arbeitsplätze wie auch nicht vertretungsweise besetzte Arbeitsplätze nicht automatisch vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104 ausgeschlossen. Jedoch ist die Art der Arbeit - auch die Frage, ob der Arbeitsplatz dauerhaft vorhanden ist oder nicht - bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob es für die aufeinander folgende Überlassung von Leiharbeitnehmern an dasselbe entleihende Unternehmen eine objektive Erklärung gibt, sodass es sich dabei nicht um einen gegen Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 verstoßenden missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit handelt.
Des Weiteren ist ein mitgliedstaatliches Gesetz, das die Berücksichtigung von Zeiten der Überlassung, die vor einem bestimmten Stichtag, jedoch nach dem Umsetzungsdatum der Richtlinie 2008/104 liegen, ausdrücklich ausschließt, wobei dieser Ausschluss für die Feststellung von Belang ist, ob ein missbräuchlicher Einsatz von Leiharbeit vorliegt, nicht mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 vereinbar, wenn es die Dauer einer Zeit der Überlassung, auf die sich ein Leiharbeitnehmer andernfalls berufen kann, verkürzt. Im Fall eines horizontalen Rechtsstreits zwischen zwei Privatpersonen sind jedoch mitgliedstaatliche Gesetze, die einen solchen Ausschluss vorsehen, nur dann unangewendet zu lassen, wenn dies nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts zwingt, wobei die Entscheidung darüber Sache des LAG ist.
Allerdings ist es nach dem Unionsrecht nicht erforderlich, der Feststellung eines missbräuchlichen Einsatzes von Leiharbeit durch Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsvertrags zwischen entleihendem Unternehmen und Leiharbeitnehmer abzuhelfen.
Abschließend ist zu sagen, dass nach der gefestigten Regel, dass die Vorschriften der Unionsrichtlinien im Bereich des Arbeitsrechts nicht nur im Wege der Gesetzgebung, sondern auch durch allgemeinverbindliche Tarifverträge umgesetzt werden können, die Ausdehnung der im deutschen Gesetz vorgesehenen individuellen Überlassungshöchstdauer den Tarifvertragsparteien überlassen werden kann, die nur für die Branche des entleihenden Unternehmens zuständig sind. Auch für solche Verträge gilt eine Schranke.
EuGH PM vom 9.9.2021
Ein Leiharbeitnehmer, der fast fünf Jahre (vom 1.9.2014 bis 31.5.2019) bei der Daimler AG in der Motorenfertigung eingesetzt war, ohne dass ein Vertretungsfall vorgelegen hätte, macht vor dem LAG Berlin-Brandenburg geltend, dass die Überlassung nicht nur vorübergehend gewesen sei und daher ein Arbeitsverhältnis direkt mit Daimler zustande gekommen sei.
Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sieht seit dem 1.4.2017 vor, dass bei Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer (gesetzlich 18 aufeinander folgende Monate, tarifvertraglich kann eine abweichende Dauer festgelegt werden) ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande kommt. Allerdings werden (gemäß einer Übergangsvorschrift) Überlassungszeiten vor dem 1.4.2017 bei der Berechnung der Überlassungsdauer nicht berücksichtigt.
Das LAG ersuchte den EuGH in diesem Zusammenhang um Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104. Es bat u.a. um Klärung des Begriffs "vorübergehend" und der Folgen, falls die Überlassung nicht mehr vorübergehend sein sollte.
In seinen Schlussanträgen vertritt Generalanwalt Tanchev die Ansicht, dass sich der Begriff "vorübergehend" nur auf die Zeiten der Überlassung des betreffenden Leiharbeitnehmers, nicht aber auf den Arbeitsplatz, auf dem er eingesetzt wird, bezieht - jedoch auch die Art der Arbeit bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen sei, ob es sich um einen gegen Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 verstoßenden missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit handelt.
Die Gründe:
Das englische Wort "temporarily" (= vorübergehend) in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 bedeutet "lasting for only a limited period of time" (= nur für eine beschränkte Dauer), "not permanent" (= nicht dauerhaft), bezieht sich jedoch nur auf die Zeiten der Überlassung des betreffenden Leiharbeitnehmers, nicht aber auf den Arbeitsplatz, auf dem er eingesetzt wird; folglich sind dauerhaft vorhandene Arbeitsplätze wie auch nicht vertretungsweise besetzte Arbeitsplätze nicht automatisch vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104 ausgeschlossen. Jedoch ist die Art der Arbeit - auch die Frage, ob der Arbeitsplatz dauerhaft vorhanden ist oder nicht - bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob es für die aufeinander folgende Überlassung von Leiharbeitnehmern an dasselbe entleihende Unternehmen eine objektive Erklärung gibt, sodass es sich dabei nicht um einen gegen Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 verstoßenden missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit handelt.
Des Weiteren ist ein mitgliedstaatliches Gesetz, das die Berücksichtigung von Zeiten der Überlassung, die vor einem bestimmten Stichtag, jedoch nach dem Umsetzungsdatum der Richtlinie 2008/104 liegen, ausdrücklich ausschließt, wobei dieser Ausschluss für die Feststellung von Belang ist, ob ein missbräuchlicher Einsatz von Leiharbeit vorliegt, nicht mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 vereinbar, wenn es die Dauer einer Zeit der Überlassung, auf die sich ein Leiharbeitnehmer andernfalls berufen kann, verkürzt. Im Fall eines horizontalen Rechtsstreits zwischen zwei Privatpersonen sind jedoch mitgliedstaatliche Gesetze, die einen solchen Ausschluss vorsehen, nur dann unangewendet zu lassen, wenn dies nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts zwingt, wobei die Entscheidung darüber Sache des LAG ist.
Allerdings ist es nach dem Unionsrecht nicht erforderlich, der Feststellung eines missbräuchlichen Einsatzes von Leiharbeit durch Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsvertrags zwischen entleihendem Unternehmen und Leiharbeitnehmer abzuhelfen.
Abschließend ist zu sagen, dass nach der gefestigten Regel, dass die Vorschriften der Unionsrichtlinien im Bereich des Arbeitsrechts nicht nur im Wege der Gesetzgebung, sondern auch durch allgemeinverbindliche Tarifverträge umgesetzt werden können, die Ausdehnung der im deutschen Gesetz vorgesehenen individuellen Überlassungshöchstdauer den Tarifvertragsparteien überlassen werden kann, die nur für die Branche des entleihenden Unternehmens zuständig sind. Auch für solche Verträge gilt eine Schranke.