01.03.2021

EuGH-Generalanwalt zum Kopftuchverbot am Arbeitsplatz

Ein Arbeitgeber kann im Rahmen seiner Neutralitätspolitik das Tragen von größeren religiösen Zeichen durch seine Beschäftigten wie z.B. das eines islamischen Kopftuchs verbieten und gleichzeitig das Tragen kleiner religiösen Zeichen  erlauben.

EuGH, C-804/18 u.a.: Schlussanträge des Generalanwalts vom 25.2.2021
Der Sachverhalt:
Rechtssache C-804/18: WABE, ein deutscher gemeinnütziger Verein, betreibt Kindertagesstätten. Er ist neutral ggü. politischen Parteien und religiösen Konfessionen. IX ist Heilerziehungspflegerin und arbeitet seit 2014 für WABE. Als Muslimin entschied sich IX Anfang 2016, das islamische Kopftuch auch am Arbeitsplatz zu tragen. Von Oktober 2016 bis Mai 2018 war sie in Elternzeit.

Im März 2018 erließ WABE eine Dienstanweisung zur Einhaltung des Neutralitätsprinzips. Sie verbietet es Mitarbeitern, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen zu tragen. Dazu gehören das christliche Kreuz, das islamische Kopftuch und die jüdische Kippa. Das Neutralitätsprinzip gilt nicht für Beschäftigte des WABE, die in der Unternehmenszentrale arbeiten, da sie keinen Kundenkontakt haben. Auf die vom WABE erlassene Dienstanweisung hingewiesen, weigerte sich IX, ihr Kopftuch abzunehmen, erhielt deshalb mehrere Abmahnungen und wurde schließlich vorerst freigestellt. Die Arbeitnehmerin erhob gegen die Abmahnungen von WABE Klage vor dem ArbG Hamburg.

Rechtssache C-341/19: Die MH Müller Handels GmbH betreibt in Deutschland eine Drogeriekette. MJ, die der islamischen Religion angehört, ist seit 2002 bei dieser Gesellschaft als Verkaufsberaterin und Kassiererin beschäftigt. Als sie 2014 aus der Elternzeit zurückkehrte, trug sie, anders als zuvor, ein islamisches Kopftuch. Konfrontiert mit ihrer Weigerung, ihr Kopftuch bei der Arbeit abzulegen, wurde sie im Juli 2016 von ihrem Arbeitgeber angewiesen, an ihrem Arbeitsplatz ohne auffällige großflächige Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu erscheinen. MJ erhob gegen die Weisung ihres Arbeitgebers Klage. Dieser beantragt beim BAG, die Klage von MJ abzuweisen.

Die beiden Gerichte möchten vom Gerichtshof wissen, ob diese betrieblichen Regelungen mit der Richtlinie 2000/78/EG über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, 16) zu vereinbaren sind.

Der Generalanwalt gelangte nun zu dem Ergebnis, dass ein nationales Gericht bei der Prüfung, ob eine interne Regel eines privaten Unternehmens über das Verbot des Tragens von Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz mit der Richtlinie vereinbar ist, die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Religionsfreiheit anwenden darf. Diese Bestimmungen dürfen aber nicht gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung der Richtlinie verstoßen, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

Die Gründe:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass "Gleichbehandlung" nach dieser Richtlinie bedeutet, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen u.a. der Religion geben darf. Nach der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen G4S Secure Solutions (Urt. v. 14.03.2017 - C-157/15) und Bougnaoui (Urt. v. 14.03.2017 -C-188/15) stellt das Verbot des Tragens jeglicher sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung von Arbeitnehmern dar, die in Anwendung religiöser Gebote, die sie zur Verhüllung verpflichten, bestimmte Bekleidungsvorschriften beachten.

Es ist zu prüfen, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn eine interne Regel im Rahmen einer unternehmerischen Neutralitätspolitik das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz untersagt.

In seinem Urteil G4S Secure Solutions nahm der EuGH auf das sichtbare Tragen von Zeichen religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz Bezug. Er entschied, dass das Verbot des Tragens dieser Zeichen zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität des Unternehmens geeignet ist, sofern diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird. Die Frage des Verbots des Tragens auffälliger großflächiger Zeichen wurde vom EuGH noch nicht entschieden.

Diese Frage läuft darauf hinaus, zu prüfen, ob das sichtbare Tragen von kleinen Zeichen angemessen ist. Insoweit ist eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität eines Arbeitgebers in seinen Kundenbeziehungen nicht unvereinbar damit, dass seine Beschäftigten religiöse Zeichen tragen, die zwar sichtbar sein können, aber klein sind, oder anders gesagt diskret, und die nicht auf den ersten Blick bemerkt werden.

Es ist nicht Sache des EuGH, den Begriff "klein" zu definieren, da der Zusammenhang, in welchem das Zeichen getragen wird, eine Rolle spielen kann. Allerdings stellt das islamische Kopftuch kein kleines religiöses Zeichen dar. Es ist daher Sache des nationalen Gerichts, die Situation im Einzelfall zu prüfen.

Wenn es zulässig ist, das Tragen jeglicher sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz zu verbieten, steht es dem Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Freiheit auch frei, nur das Tragen auffälliger, großflächiger Zeichen zu untersagen.

Im Ergebnis kann eine interne Regel eines privaten Unternehmens, die im Rahmen der Neutralitätspolitik dieses Unternehmens nur das Tragen von auffälligen, großflächigen Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gerechtfertigt sein. Eine solche Verbotspolitik muss in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, was das nationale Gericht zu überprüfen hat.

Schließlich ist zu fragen, ob die Mitgliedstaaten eine nationale Rechtsvorschrift zum Schutz der Religionsfreiheit im Rahmen der Überprüfung einer Weisung anwenden können, die sich auf eine interne Regel eines Unternehmens stützt, die das Tragen von Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet. Aus den Bestimmungen des deutschen Verfassungsrechts ergibt sich nämlich, dass der Wunsch eines Arbeitgebers, eine Politik der religiösen Neutralität ggü. seinen Kunden zu verfolgen, grundsätzlich nur dann rechtmäßig ist, wenn das Fehlen einer solchen Neutralität einen wirtschaftlichen Nachteil für ihn nach sich zieht.

Es ist erforderlich, die Vielfalt der Ansätze in den Mitgliedstaaten in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit zu berücksichtigen. Die innerstaatlichen deutschen Bestimmungen treten nicht mit der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Konflikt. Sie verbieten nämlich nicht, dass ein Arbeitgeber eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität verfolgt, sondern legen nur eine zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung dieser Politik fest, nämlich das Bestehen einer hinreichend konkreten Gefahr eines wirtschaftlichen Nachteils für den Arbeitgeber oder einen betroffenen Dritten.

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass ein nationales Gericht bei der Prüfung, ob eine interne Regel eines privaten Unternehmens über das Verbot des Tragens von Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz mit der Richtlinie vereinbar ist, die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Religionsfreiheit anwenden darf. Diese Bestimmungen dürfen aber nicht gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung der Richtlinie verstoßen, was das nationale Gericht zu prüfen hat.
EuGH PM Nr. 25 vom 25.2.2021
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