Experten streiten über gesetzgeberische Auswirkungen der "Kücükdeveci"-Entscheidung
Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sind Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahrs eines Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht zu berücksichtigen. Der EuGH hat im Fall "Kücükdeveci" entschieden, dass diese Norm nicht mehr angewendet werden darf, weil sie mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und dessen Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar ist.
Zur Begründung hat der EuGH ausgeführt: Das EU-Recht erlaube zwar eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters, wenn hiermit ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- oder Arbeitsmarktpolitik oder der beruflichen Bildung verfolgt werde. § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB sei jedoch zur Erreichung dieser Ziele nicht geeignet, da er auf alle Arbeitnehmer angewandt würde, die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs in den Betrieb eingetreten seien - unabhängig davon, wie alt diese zum Zeitpunkt ihrer Entlassung seien.
+++ Inhalt der Gesetzentwürfe
Die Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion sowie der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die Gegenstand der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales waren, sehen eine ersatzlose Streichung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Zur Begründung wird angeführt, dass die nationalen Gerichte einerseits unionsrechtlich verpflichtet seien, die Vorschrift nicht mehr anzuwenden, andererseits aber an Recht und Gesetz gebunden seien. Aus Gründen der Rechtsklarheit müsse die Norm daher gestrichen werden.
+++ Stellungnahme der Experten
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sowie Sigrun Heil vom Sinzheimer Institut unterstützen die Gesetzentwürfe.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lehnt hingegen die in den Gesetzentwürfen geforderte Streichung ab: Bei dem Vorschlag der Fraktionen handele es sich um "einen pauschalen, nicht weiterführenden Vorschlag", so die Arbeitgebervertreter. Er trage nicht dazu bei, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und bedenke nicht die Konsequenzen für den deutschen Arbeitsmarkt. Die aus den Forderungen der Fraktionen resultierende generelle Verlängerung der Kündigungsfristen würde "insbesondere Branchen treffen, in denen die Beschäftigten - wie beispielsweise in der Bauwirtschaft - sehr jung in das Arbeitsleben einsteigen".
Auch der Einzelsachverständige Prof. Dr. Gregor Thüsing lehnt eine Streichung der Regelung ab und nennt diese "phantasielos" und "Gesetzeskosmetik". Stattdessen sprach er sich dafür aus, auf die Entscheidung des Gerichtshofs so zu reagieren, dass der Paragraf künftig europarechtskonform ist.
+++ Linkhinweise:
- Weitere Informationen zum Thema finden Sie auf den Webseiten des Portals für Arbeits- und Sozialrecht (AuS-Portal).
- Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte "Kücükdeveci" -Entscheidung im Volltext klicken Sie bitte hier.