Fortführung eines abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahrens
ArbG Erfurt v. 28.4.2023 - 7 Ga 6/23
Der Sachverhalt:
Die Beklagte hatte am 30.11.2022 eine mit der Entgeltgruppe 9 b TVöD bewertete Stelle "Sachbearbeiterin Fördermittel und Ordnungswidrigkeiten im Gesundheitsamt" ausgeschrieben. Daraufhin gingen vier Bewerbungen ein. Zwei der Bewerber*innen, u.a. die Klägerin, erfüllten die Voraussetzungen des konstitutiven Anforderungsprofils. Die Klägerin, die derzeit bei einem IT- und Abrechnungsdienstleister im Home-Office tätig ist, leidet unter einem angeborenen Nystagmus, der umgangssprachlich auch als Augenzittern bezeichnet wird. Letzteres war der Beklagten nicht bekannt.
Nach einem Vorstellungsgespräch teilte die Beklagte der Klägerin am 16.2.2023 mit, dass sie sich im Auswahlverfahren für die Stelle durchgesetzt habe. Bei der anschließenden betriebsärztlichen Untersuchung teilte die Betriebsärztin der Beklagten mit, dass gegen die Einstellung dauernde gesundheitliche Bedenken bestünden und versah die Mitteilung mit folgenden Bemerkungen:
"dringend augenärztliche Kontrolluntersuchung, leidensgerechter Arbeitsplatz erforderlich, Überbeanspruchung der Augen vermeiden, individuelle Bildschirmpausen, Bildschirmlupe, großer Monitor, Sehhilfen, Stuhl mit verkürzter Sitztiefe, Fußstützen."
Daraufhin wurde der Klägerin am 27.3.2023 mitgeteilt, dass auf Grund dauerhafter gesundheitlicher Bedenken die Voraussetzungen für die Einstellung nicht vorlägen und aus Gründen der Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers von der Einstellung abgesehen werden müsse. Die Stelle wurde erneut öffentlich ausgeschrieben. Aufgrund des vorliegenden Rechtsstreites ruht derzeit das laufende Verfahren. Die Klägerin begehrte, der Beklagten aufzugeben, das Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen. Es sei nichtzutreffend, dass sie gesundheitlich für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet sei. Sie komme ihr gesamtes Leben mit der Erkrankung zurecht, habe ein Studium abgeschlossen und sich danach auf dem Arbeitsmarkt behauptet.
Der Antrag der Klägerin war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich.
Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Fortsetzung des streitgegenständlichen Stellenbesetzungsverfahrens, da sein Abbruch den Bewerbungsverfahrensanspruch der Klägerin aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzte.
Zwar kann der Bewerbungsverfahrensanspruch dadurch erlöschen, dass das Stellenbesetzungsverfahren ohne Ergebnis, d.h. ohne Besetzung der Stelle, abgebrochen wird. Der öffentliche Arbeitgeber kann etwa das Auswahlverfahren abbrechen, wenn es fehlerhaft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann. Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren fortzuführen. Eine Neuausschreibung darf dann nicht erfolgen.
Ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens verletzt den grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Bewerber können daher bereits diese Maßnahme, obwohl sie nur vorbereitenden Charakter besitzt, einer gerichtlichen Kontrolle zuführen (BAG, Urt. v. 12.12.2017, 9 AZR 152/17). Und hier hatte die Beklagte die Klägerin aus nicht nachvollziehbaren Gründen routinemäßig einer Einstellungsuntersuchung unterzogen. Eine solche Untersuchung kommt nur dann in Betracht, wenn durch den Gesundheitstest festgestellt werden soll, ob der Bewerber gesundheitlich seine Arbeitstätigkeit erbringen kann, ohne dabei sich oder Dritte zu gefährden. Es reicht nicht aus, wenn nur abstrakt die mögliche Leistungsfähigkeit des Bewerbers getestet werden soll. Dabei kann der Bewerber frei entscheiden, von welchem Arzt er sich untersuchen lassen möchte.
Vorliegend war nicht ersichtlich, aufgrund welcher konkreten Umstände die Beklagte von einer gesundheitlichen Nichteignung für die Tätigkeit auf der ausgeschriebenen Stelle oder eine Gefährdung der Klägerin für sich oder Dritte durch die Tätigkeit ausgegangen war. Es reichte insoweit nicht aus, sich auf die widersprüchlichen Angaben der Betriebsärztin zu berufen. Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung für die ausgeschriebene Stelle müssen die körperlichen und psychischen Veranlagungen der Bewerberin grundsätzlich durch die Beklagte festgestellt und deren Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen bestimmt werden. Dabei darf die Entscheidungsverantwortung für das gesundheitliche Eignungsurteil nicht nur einem Arzt übertragen werden. Auf der Grundlage der Anforderungen der streitgegenständlichen Stelle, hätte die Beklagte im Verfahren darlegen müssen, aufgrund welcher Umstände die Klägerin entweder diesen Anforderungen nicht gewachsen sein soll oder dabei die Gefahr bestehe, die Klägerin könne sich oder Dritte gefährden. Das ist jedoch nicht geschehen.
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Die Beklagte hatte am 30.11.2022 eine mit der Entgeltgruppe 9 b TVöD bewertete Stelle "Sachbearbeiterin Fördermittel und Ordnungswidrigkeiten im Gesundheitsamt" ausgeschrieben. Daraufhin gingen vier Bewerbungen ein. Zwei der Bewerber*innen, u.a. die Klägerin, erfüllten die Voraussetzungen des konstitutiven Anforderungsprofils. Die Klägerin, die derzeit bei einem IT- und Abrechnungsdienstleister im Home-Office tätig ist, leidet unter einem angeborenen Nystagmus, der umgangssprachlich auch als Augenzittern bezeichnet wird. Letzteres war der Beklagten nicht bekannt.
Nach einem Vorstellungsgespräch teilte die Beklagte der Klägerin am 16.2.2023 mit, dass sie sich im Auswahlverfahren für die Stelle durchgesetzt habe. Bei der anschließenden betriebsärztlichen Untersuchung teilte die Betriebsärztin der Beklagten mit, dass gegen die Einstellung dauernde gesundheitliche Bedenken bestünden und versah die Mitteilung mit folgenden Bemerkungen:
"dringend augenärztliche Kontrolluntersuchung, leidensgerechter Arbeitsplatz erforderlich, Überbeanspruchung der Augen vermeiden, individuelle Bildschirmpausen, Bildschirmlupe, großer Monitor, Sehhilfen, Stuhl mit verkürzter Sitztiefe, Fußstützen."
Daraufhin wurde der Klägerin am 27.3.2023 mitgeteilt, dass auf Grund dauerhafter gesundheitlicher Bedenken die Voraussetzungen für die Einstellung nicht vorlägen und aus Gründen der Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers von der Einstellung abgesehen werden müsse. Die Stelle wurde erneut öffentlich ausgeschrieben. Aufgrund des vorliegenden Rechtsstreites ruht derzeit das laufende Verfahren. Die Klägerin begehrte, der Beklagten aufzugeben, das Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen. Es sei nichtzutreffend, dass sie gesundheitlich für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet sei. Sie komme ihr gesamtes Leben mit der Erkrankung zurecht, habe ein Studium abgeschlossen und sich danach auf dem Arbeitsmarkt behauptet.
Der Antrag der Klägerin war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich.
Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Fortsetzung des streitgegenständlichen Stellenbesetzungsverfahrens, da sein Abbruch den Bewerbungsverfahrensanspruch der Klägerin aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzte.
Zwar kann der Bewerbungsverfahrensanspruch dadurch erlöschen, dass das Stellenbesetzungsverfahren ohne Ergebnis, d.h. ohne Besetzung der Stelle, abgebrochen wird. Der öffentliche Arbeitgeber kann etwa das Auswahlverfahren abbrechen, wenn es fehlerhaft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann. Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren fortzuführen. Eine Neuausschreibung darf dann nicht erfolgen.
Ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens verletzt den grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Bewerber können daher bereits diese Maßnahme, obwohl sie nur vorbereitenden Charakter besitzt, einer gerichtlichen Kontrolle zuführen (BAG, Urt. v. 12.12.2017, 9 AZR 152/17). Und hier hatte die Beklagte die Klägerin aus nicht nachvollziehbaren Gründen routinemäßig einer Einstellungsuntersuchung unterzogen. Eine solche Untersuchung kommt nur dann in Betracht, wenn durch den Gesundheitstest festgestellt werden soll, ob der Bewerber gesundheitlich seine Arbeitstätigkeit erbringen kann, ohne dabei sich oder Dritte zu gefährden. Es reicht nicht aus, wenn nur abstrakt die mögliche Leistungsfähigkeit des Bewerbers getestet werden soll. Dabei kann der Bewerber frei entscheiden, von welchem Arzt er sich untersuchen lassen möchte.
Vorliegend war nicht ersichtlich, aufgrund welcher konkreten Umstände die Beklagte von einer gesundheitlichen Nichteignung für die Tätigkeit auf der ausgeschriebenen Stelle oder eine Gefährdung der Klägerin für sich oder Dritte durch die Tätigkeit ausgegangen war. Es reichte insoweit nicht aus, sich auf die widersprüchlichen Angaben der Betriebsärztin zu berufen. Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung für die ausgeschriebene Stelle müssen die körperlichen und psychischen Veranlagungen der Bewerberin grundsätzlich durch die Beklagte festgestellt und deren Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen bestimmt werden. Dabei darf die Entscheidungsverantwortung für das gesundheitliche Eignungsurteil nicht nur einem Arzt übertragen werden. Auf der Grundlage der Anforderungen der streitgegenständlichen Stelle, hätte die Beklagte im Verfahren darlegen müssen, aufgrund welcher Umstände die Klägerin entweder diesen Anforderungen nicht gewachsen sein soll oder dabei die Gefahr bestehe, die Klägerin könne sich oder Dritte gefährden. Das ist jedoch nicht geschehen.
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