29.05.2018

Geht der Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Jahresurlaub auf die Erben über?

Generalanwalt Bot schlägt dem EuGH vor, zu entscheiden, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers keine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verlangen können. Die Erben könnten sich sowohl gegenüber öffentlichen als auch privaten Arbeitgebern unmittelbar auf das Unionsrecht berufen und ihren Anspruch einfordern.

EuGH C-569/16 u. C-570/16: Schlussanträge des Generalanwalts vom 29.5.2018
Der Sachverhalt:
Zwei Witwen forderten von den früheren Arbeitgebern ihrer verstorbenen Ehemänner, der Stadt Wuppertal und dem Inhaber einer Technischen Wartung und Instandsetzung, ihnen eine finanzielle Vergütung zur Abgeltung des bezahlten Jahresurlaubs zu zahlen, den ihre Ehemänner vor ihrem Tod nicht mehr genommen hatten. Aufgrund der Weigerung der Zahlung durch die Arbeitgeber, forderten sie dies vor deutschen Arbeitsgerichten ein.

Das BAG ersuchte den Gerichtshof in diesem Zusammenhang um Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG vom 4.11.2003 und der Charta der Grundrechte der EU, dabei insbesondere Art. 31 Abs. 2, in denen das Recht jedes Arbeitsnehmers auf bezahlten Jahresurlaub verbürgt ist. Denn nach deutschem Recht (§ 7 Abs. 4 BurlG) in der Auslegung des BAG geht der Urlaubsanspruch des Erblassers mit seinem Tod unter mit der Folge, dass er weder in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt noch Teil der Erbmasse werden kann. Falls das Unionsrecht einer solchen Regelung entgegenstehen sollte, wollte das BAG zudem wissen, ob der sich der Erbe unmittelbar auf das Unionsrecht berufen kann, insbesondere gegenüber einem privaten Arbeitgeber.

Die Schlussanträge des Generalanwalts:
Die Arbeitszeitrichtlinie steht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften wie denen des Streitfalls entgegen, wonach bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers der Anspruch auf bezahlten Urlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht und die Zahlung einer solchen finanziellen Vergütung an die Erben des verstorbenen Arbeitnehmers somit ausgeschlossen ist.

Für den Fall, dass das BAG weiterhin der Ansicht sein sollte, dass es das nationale Recht nicht unionskonform auslegen könne, gilt es zwei Fälle zu unterscheiden. Die Erbin deren Ehemann bei einer Körperschaft öffentlichen Rechts beschäftigt gewesen ist, kann ihren Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub, der ihr unmittelbar kraft Richtlinie zusteht, gegenüber der Körperschaft geltend machen. Von der Anwendung entgegenstehender nationaler Vorschriften ist abzusehen. Bei der Erbin deren Ehemann bei einer privatrechtlichen Person beschäftigt gewesen ist, ist der Fall schwieriger, denn nach ständiger EuGH-Rechtsprechung kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen einzelnen begründen, so dass einem eine Berufung auf die Richtlinie vor einem nationalen Gericht als solche nicht möglich ist.

Aber der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, wie er in Art. 31 Abs. 2 der Charta festgeschrieben ist, ist nicht nur ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union, sondern auch als vollwertiges soziales Grundrecht anzusehen. Der Artikel der Charta weist alle notwendigen Merkmale dafür auf, dass er in einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen unmittelbar geltend gemacht werden kann, um die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften auszuschließen, aufgrund deren ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verliert. Er hat zwingenden Charakter und ist in dem Sinne eigenständig. Das Recht auf finanzielle Vergütung als Abgeltung für den zustehenden Jahresurlaub ist zudem als ein durch Art. 31 Abs. 2 der Charta geschütztes Recht anzusehen.

Linkhinweis:
Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 70/2018 vom 29.5.2018
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