12.09.2019

Geldstrafen wegen vieler Einzelverstöße gegen arbeitsrechtliche Vorgaben müssen insgesamt noch verhältnismäßig sein

Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, oder im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.

EuGH v. 12.9.2019 - C-64/18 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind die Vorstandsmitglieder einer AG in Österreich, die vor allem Papier herstellt, und der Geschäftsführer eines kroatischen Unternehmens, welches in der Kraftwerkstechnik tätig ist. In dem Werk der österreichischen AG explodierte ein Laugen-Kessel, welchen das kroatische Unternehmen daraufhin sanieren und wieder in Betrieb nehmen sollte. Auf der betreffenden Baustelle waren für den Kraftwerkstechniker 217 Arbeitskräfte im Einsatz.

Infolge einer Kontrolle der österreichischen Finanzpolizei auf der Baustelle konnten nicht alle Arbeiter die vollständigen Lohnunterlagen vorlegen. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft verhängte daraufhin eine Geldstrafe i.H.v. 3.255.000 € gegen den Geschäftsführer des kroatischen Unternehmens. Sie legte dem Unternehmen zu Last, gegen ihre in §7d AVRAG (österreichisches Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz) vorgesehene Verpflichtung als Überlasserin der 217 Arbeitskräfte verstoßen zu haben, der Beschäftigerin die Lohnunterlagen dieser Arbeitskräfte bereitzustellen. Zudem verhängte die Bezirkshauptmannschaft gegen die jedes der Vorstandsmitglieder der AG Geldstrafen i.H.v. 2.604.000 € und 2.400.000 €, ebenfalls wegen Nichteinhaltung bestimmter Pflichten nach §7d AVRAG.

Die von den Verwaltungsstrafen betroffenen Personen haben gegen die Bescheide Beschwerden beim vorlegenden Gericht erhoben. Dieses Gericht hegte Zweifel an der Vereinbarkeit einer Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen und legte dem EuGH einige Fragen zur Vorabentscheidung vor. Es wies zudem darauf hin, dass diese Geldstrafen im Fall ihrer Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen von 1.736 Tagen und 1.600 Tagen umgewandelt würden.

Die Gründe:
Eine nationale Regelung, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, entspricht nicht geltendem Unionsrecht.

Die nach österreichischem Recht bestehende Sanktion für Verstöße gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen, die den sozialen Schutz der Arbeitnehmer sowie die Bekämpfung von insbesondere Sozialbetrug und die Verhinderung von Missbräuchen zum Ziel hat, ist zwar ein Eingriff in den freien Dienstleistungsverkehr, der allerdings gerechtfertigt ist. Die Ahndung der Nichteinhaltung dieser arbeitsrechtlichen Vorschriften über die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen ist demnach grundsätzlich mit Unionsrecht vereinbar.

Das Ziel der verhängten Geldstrafe, nämlich die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften, könnte jedoch auch mit einer geringeren Geldstrafe erreicht werden, die bei Uneinbringlichkeit nicht in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden würde. Durch das Zusammenspiel von Kumulationsprinzip und keiner Obergrenze können - wie hier - Geldstrafen in unverhältnismäßig großem Ausmaß entstehen. Aufgrund der hohen Mindeststrafe der einzelnen Vergehen steht dem österreichischen Gericht zudem kaum ein Ermessensspielraum bezüglich der Geldstrafe zu. Die österreichische Regelung steht mithin nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße.
EuGH online
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