24.04.2012

Gewerkschaften können konkret tarifwidriges Verhalten des Arbeitgebers nicht mit Klage nach § 9 TVG beanstanden

§ 9 TVG, wonach die Tarifvertragsparteien u.a. Streitigkeiten über die Auslegung eines Tarifvertrags mit Bindungswirkung für alle Gerichte entscheiden lassen können, gilt nur für Streitigkeiten über die abstrakte und fallübergreifende Auslegung einer Tarifnorm. Das konkrete Verhalten eines Arbeitgebers kann daher selbst dann nicht zum Streitgegenstand einer Klage nach § 9 TVG gemacht werden, wenn dem Streit ein unterschiedliches Verständnis von Tarifnormen zugrunde liegt.

BAG 18.4.2012, 4 AZR 371/10
Der Sachverhalt:
Kläger des Verfahrens sind der Bayerische Journalistenverband und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Sie hatten mit dem beklagten Bayerischen Rundfunk einen Haustarifvertrag abgeschlossen, der u.a. eine Vergütungsordnung enthält, wonach der Beklagte seine Mitarbeiter eingruppiert.

Führungspositionen besetzt der Beklagte nur befristet, ohne die Eingruppierung der Arbeitnehmer für die Dauer der Übertragung der Führungsposition zu ändern. Er zahlt lediglich einen Zuschuss in entsprechender Höhe.

Diese Vorgehensweise halten die Kläger für tarifwidrig. Mit ihrer Klage beantragten sie, den Beklagten zu entsprechenden Eingruppierungen zu verurteilen, hilfsweise festzustellen, dass sowohl die Praxis des Beklagten, die Arbeitnehmer in den bisherigen Eingruppierungen zu belassen und die Vergütungsdifferenz lediglich als Funktionszulage zu zahlen, als auch die Praxis, die Führungspositionen befristet zu übertragen, unzulässig ist.

Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Revision, bei der es nur noch um die bisherigen Hilfsanträge der Kläger ging, hatte vor dem BAG ebenfalls keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Anträge der Kläger auf Feststellung der Unzulässigkeit der beanstandeten Vorgehensweise der Beklagten sind unzulässig.

Die Parteien eines Tarifvertrags können nach § 9 TVG Streitigkeiten über den Bestand und die Auslegung des von ihnen vereinbarten Tarifvertrags zwar mit Bindungswirkung für alle Gerichte entscheiden lassen. Diese über § 325 ZPO hinausgehende Wirkung setzt aber voraus, dass die Anträge sich auf die abstrakte und fallübergreifende Auslegung einer Tarifnorm beziehen.

Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die Parteien streiten über das Verhalten der beklagten Rundfunkanstalt in Bezug auf Arbeitnehmer, denen Führungsaufgaben übertragen wurden. Derartige konkrete Verhaltensweisen des Arbeitgebers können von den Gewerkschaften nicht im Wege einer Klage nach § 9 TVG beanstandet werden. Die "Unzulässigkeit" der Tarifpraxis eines tarifgebundenen Arbeitgebers ist kein mit einer solchen Klage feststellbares Rechtsverhältnis.

Den Gerichten für Arbeitssachen ist es auch versagt, anstelle der klagenden Koalition von sich aus selbst eine Auslegungsfrage zu formulieren, die dem Streit der Parteien - möglicherweise - zugrunde liegt.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.
BAG PM Nr. 31/12 vom 18.4.2012
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