20.09.2023

Keine Entgeltfortzahlung bei COVID-19 wegen unterlassener Impfung?

Ein Verschulden der Arbeitsunfähigkeit durch einen nicht geimpften Arbeitnehmer iSv. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist nicht anzunehmen, wenn die Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Schutzimpfung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können. Ein an COVID-19 erkrankter Arbeitnehmer ist infolge Krankheit dabei objektiv an seiner Arbeitsleistung verhindert, auch wenn er sich in Quarantäne begeben muss (Ausnahme: Homeoffice). Die erforderliche Monokausalität iSv. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist gegeben, wenn die behördlich angeordnete Quarantäne Folge einer Arbeitsunfähigkeit ist.

LAG Hamm v. 24.8.2023 - 15 Sa 1033/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte für den Zeitraum 3.1.2022 bis einschließlich 12.1.2022, in dem sich der nicht gegen SARS-CoV-2 geimpfte Kläger aufgrund einer Infektion mit dem Corona-Virus und behördlicher Anordnung in Quarantäne befand. Der Kläger ist seit 2015 bei der Beklagten, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie, beschäftigt. Eine alternative Beschäftigung des als Produktionsmitarbeiters tätigen Klägers im Homeoffice war daher nicht möglich.

In der Verdienstabrechnung für den Monat Januar 2022 nahm die Beklagte Abzüge vor. Sie schulde dem Kläger für den Zeitraum 3.1.2022 bis einschließlich 12.1.2022 keinen Arbeitslohn, weil es an der Monokausalität der Arbeitsverhinderung fehle. Außerdem habe der Kläger die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet, da er sich nicht gegen Covid19 habe impfen lassen.

Das ArbG wies die Klage auf Nachzahlung der vorgenommenen Abzüge ab. Die Berufung vor dem LAG war nun überwiegend erfolgreich. Die Revision für die Beklagte wurde zugelassen.

Die Gründe:
Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind gegeben. Der Kläger war durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum krank. Nach den allgemeinen Grundsätzen stellt die unstreitige SARS-CoV-2-Infektion des Klägers einen regelwidrigen körperlichen Zustand und damit eine Krankheit i.S.v. § 3 EFZG dar. Inwieweit der Zustand des Klägers einer Heilbehandlung bedurfte, ist nicht maßgeblich. Unstreitig wies der Kläger außerdem - zumindest zu Beginn - Krankheitssymptome auf, wegen der er seinen behandelnden Arzt aufsuchte.

Der Kläger war infolge der Krankheit arbeitsunfähig im Zeitraum vom 3.1.2022 bis einschließlich 12.1.2022. Denn der Kläger konnte aufgrund der infolge seiner Erkrankung ergangenen Anordnung der Absonderung in häusliche Quarantäne die vertraglich geschuldete Tätigkeit bis einschließlich zum 12.1.2022 nicht ausüben. Eine Beschäftigung des als Produktionsmitarbeiter tätigen Klägers im Homeoffice war unstreitig nicht möglich.

Der Kläger war aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert. Dass sich der Kläger aufgrund der Ordnungsverfügung der Gemeinde A vom 29. Dezember 2021 in dem streitgegenständlichen Zeitraum in häuslicher Quarantäne befand, steht dem nicht entgegen.

Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss zwar grundsätzlich die alleinige Ursache für die Arbeitsverhinderung sein (Monokausalität). Der Arbeitgeber wird mit dem Entgelt ohne Gegenleistung nur belastet, wenn der Arbeitnehmer ohne Erkrankung gearbeitet hätte. Das ist nicht der Fall, wenn die Arbeit zumindest auch aus einem anderen Grund nicht geleistet worden ist.

Der Arbeitnehmer kann von dem Arbeitgeber aber Entgeltfortzahlung verlangen, wenn die behördlich angeordnete Quarantäne Folge einer Arbeitsunfähigkeit ist und nicht nur aufgrund eines Krankheitsverdachts ausgesprochen wurde. Denn in diesen Fällen ist das gesetzliche Beschäftigungsverbot lediglich Ausfluss der Erkrankung, so dass ihm keine selbständige Bedeutung zukommt.

Hiernach lag die erforderliche Monokausalität der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit für die Arbeitsverhinderung vor. Die Quarantäneanordnung der Gemeinde A war somit Folge der Corona-Erkrankung und der damit einhergehenden Arbeitsunfähigkeit. Das Hinzutreten der Verpflichtung zur Absonderung ließ die Monokausalität nicht entfallen.

 

Der Kläger war durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG traf. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Kläger trotz der öffentlichen Empfehlung einer Schutzimpfung und der bestehenden Impfmöglichkeiten nicht gegen das Corona-Virus impfen ließ. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass das Unterlassen der empfohlenen Schutzimpfung für die Corona-Infektion und die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ursächlich war.

Denn es war auch zum Zeitpunkt der Corona-Infektion des Klägers mit sog. Impfdurchbrüchen und symptomatischen Corona-Infektionen bei vollständig geimpften Personen zu rechnen. Dies galt in besonderem Maße wegen der steigenden Zahl der Infektionen mit der Omikron-Variante, die im Zeitraum der Erkrankung des Klägers bereits die Hälfte der Corona-Infektionen ausmachte.


Die Revision war für die Beklagte zuzulassen, da sich bei der Frage des Entgeltfortzahlungsanspruchs des nicht gegen SARS-CoV-2 geimpften Klägers im Zusammenhang mit der ergangenen Quarantäneanordnung entscheidungserhebliche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Arbeitsrechtliche Fragen der Impf- und der Testverweigerung
Richard Giesen, ZFA 2021, 440

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