16.11.2021

Keine unbegrenzte Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern

Auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern erfolgt keine unbegrenzte Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen über die 15-Monatsfrist hinaus. Die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung (Mitteilung der Verfristung) gelten nicht ggü. einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer. Denn wenn der langzeiterkrankte Arbeitnehmer vom Arbeitgeber nicht in die Lage versetzt werden kann, seinen Urlaub zu nehmen, bedarf es auch keines Hinweises auf eine tatsächlich und rechtlich ohnehin unmögliche Urlaubsgewährung.

ArbG Köln v. 30.9.2021 - 8 Ca 2545/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Abgeltungsansprüche des Klägers für krankheitsbedingt nicht genommenen Urlaub.

Der Kläger war seit Juli 2017 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung zum 28.2.2021 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Urlaubsabgeltungsansprüche für die Jahre 2019, 2020 und 2021 waren bereits arbeitgeberseitig erfüllt worden.

Der Kläger war jedoch der Ansicht, dass ihm darüber hinaus auch für die Jahre 2017 und 2018 Urlaubsabgeltungsansprüche zustünden, da er auch in diesen Jahren krankheitsbedingt keinen Urlaub nehmen konnte und der Arbeitgeber nicht darauf hingewiesen habe, dass die Urlaubs- und damit auch die Urlaubsabgeltungsansprüche wegen Verfristung verfallen würden.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Der Kläger hat nach § 7 Abs. 4 BurlG einen Urlaubsabgeltungsanspruch für den Urlaubsanspruch der Jahre 2019, 2020 und 2021, nicht jedoch darüberhinausgehend auch für den Urlaubsanspruch der Kalenderjahre 2017 und 2018.

Der Urlaubsanspruch der Jahre 2019, 2020 und 2021 besteht, weil bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern, die keine Möglichkeit hatten, ihren Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen, der Urlaubsanspruch nicht bereits nach Ablauf eines dreimonatigen Übertragungszeitraums nach Ablauf des Kalenderjahres, sondern erst nach Ablauf von 15 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres verfällt.

Der Urlaubsanspruch der Kalenderjahre 2017 und 2018 ist jedoch verfallen. Denn wenn eine Arbeitsunfähigkeit auch am 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fortbesteht, so ist keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs - über die 15-Monatsfrist hinaus - geboten (BAG, Urteil vom 11.6.2013 - 9 AZR 855/11).

Aufgrund der grundsätzlichen Befristung des Urlaubsanspruchs auf das Kalenderjahr auch bei einer Langzeiterkrankung muss ein gewisser Bezug zum ursprünglichen Kalenderjahr, für das der Urlaubsanspruch entstanden ist, verbleiben.

Einen weiteren Aspekt gegen eine unbegrenzte Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs stellt der Schutz des Arbeitnehmers dar. Der langzeiterkrankte Arbeitnehmer ist im deutschen Arbeitsrecht potentiell vom Ausspruch einer personenbedingten Kündigung in der Unterform der krankheitsbedingten Kündigung wegen andauernder Langzeiterkrankung bedroht. Die Rechtsprechung stellt insofern hohe Anforderungen an den arbeitgeberseitigen Vortrag zur Begründung einer solchen Kündigung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auf der Stufe der Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist, dass der langzeiterkrankte Arbeitnehmer nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums für den Arbeitgeber grundsätzlich keine finanzielle Belastung mehr darstellt und ihn "nichts kostet".

Diese Begründung könnte aber nicht aufrecht erhalten bleiben, wenn der langzeiterkrankte Arbeitnehmer auch während einer langjährigen Langzeiterkrankung jedes Jahr neue Urlaubsansprüche im Umfang von jedenfalls vier Wochen gesetzlichem Mindesturlaub erwirbt, die trotz Langzeiterkrankung nicht verfallen und daher mit Wiedergenesung des Arbeitnehmers nachzugewähren bzw. mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten sind. In diesem Fall würde auch der langzeiterkrankte Arbeitnehmer den Arbeitgeber in jedem Kalenderjahr der Langzeiterkrankung mindestens annähernd ein Bruttomonatsgehalt "kosten" aufgrund der weiteren Urlaubsansprüche, ohne dass der Arbeitgeber hierfür eine Gegenleistung erhält. Dies würde bei der Interessenabwägung einer krankheitsbedingten Kündigung nunmehr deutlich zugunsten des Arbeitgebers sprechen, der in Anbetracht einer solchen finanziellen Belastung durch die - dann nicht verfallenden - Urlaubsansprüche leichter personenbedingt kündigen könnte bei einer Langzeiterkrankung. Insofern besteht auch aus Sicht des Arbeitnehmers zum Ziel des Erhalts des Arbeitsverhältnisses bei einer Langzeiterkrankung ein massives Interesse dahingehend, ein Ansammeln von Urlaubsansprüchen über mehrere Kalenderjahre und die damit einhergehende drohende finanzielle Belastung des Arbeitgebers, die dieser zur Begründung einer personenbedingten Kündigung anführen könnte, zu verhindern.

Diese Gesichtspunkte bestehen unverändert fort. Hieran hat sich auch nichts durch die neuere Rechtsprechung des EuGH und des BAG zu den Mitwirkungsobliegenheiten bei der Urlaubsgewährung geändert.

Zwar folgt aus den Urteilen des EuGH vom 06.11.2018 (C-619/16 und C-686/16) und der anschließenden Rechtsprechung des BAG (u.a. v. 22.10.2019 - 9 AZR 98/19), dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer den Umfang seines Urlaubsanspruchs mitteilen, ihn unmissverständlich auffordern, den Urlaub zu nehmen und darauf hinweisen muss, dass dieser sonst verfällt.

Diese Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers gelten jedoch nur für einen arbeitsfähigen, aber jedenfalls nicht für einen langzeit-arbeitsunfähigen Arbeitnehmer.

Denn der langzeit-arbeitsunfähige Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber nicht "in die Lage versetzt werden, seinen Urlaub zu nehmen". Der langzeit-arbeitsunfähige Arbeitnehmer kann seinen Urlaub nicht nehmen, weil er langzeit-arbeitsunfähig ist und die Arbeitsunfähigkeit bereits im Ansatz jeglicher Inanspruchnahme von Urlaub entgegensteht.

Die Urlaubsgewährung ggü. einem langzeit-arbeitsunfähigen Arbeitnehmer ist tatsächlich und rechtlich unmöglich. Etwas tatsächlich und rechtlich Unmögliches kann die Rechtsordnung jedoch von einer Arbeitsvertragspartei nicht verlangen. Insofern kann vom Arbeitgeber auch kein Hinweis verlangt werden auf etwas, was ihm ohnehin tatsächlich und rechtlich unmöglich ist.
Justiz NRW online
Zurück