24.04.2023

Kita- und Schulassistenz als Tendenzträger?

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kita- oder Schulassistenz sind dann keine Tendenzträger, wenn sie sie zwar Entscheidungen über Hilfemaßnahmen für die betreuten Kinder selbständig treffen können, diese aber nur in Abstimmung mit den jeweiligen Gesamt-, Hilfe- und Teilhabeplänen sowie mit den jeweiligen Lehrern umsetzen können.

ArbG Bonn v. 5.1.2023 - 3 BV 96/22
Der Sachverhalt:
Die Beteiligte zu 2) ist ein Träger von ambulanten Teil- und vollstationären Einrichtungen und Dienste für Menschen mit Behinderung. Sie ist bzw. war auch in der Kindergarten- und Schulassistenz beschäftigt. Sie beschäftigt derzeit ca. 360 Mitarbeiter, hiervon ca. 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Kindergarten- und Schulassistenz. Davon werden 58 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als fachliche Integrationsassistenten in der Entgeltgruppe 8 und 89 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als reguläre Integrationsassistenten in der Entgeltgruppe 2 beschäftigt.

Die Beteiligte zu 1) ist der Betriebsrat der Beteiligten zu 2). Die Parteien stritten im vorliegenden Verfahren darüber, ob Einstellungen oder von Versetzungen namentlich genannter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereich der Kita- und Schulassistenz sowie einer Mitarbeiterin als Betreuungshelferin mitbestimmungspflichtig waren und die Beteiligte zu 2) die Beteiligung des Beteiligten zu 1) mitbestimmungswidrig unterlassen hatte oder ob die Beteiligungsrechte nach§ 99 BetrVG bezüglich dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1 keine Anwendung fanden, da die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Tendenzträger waren.

Dazu trug der Betriebsrat vor, dass die Beschäftigten durch enge Weisungen, insbesondere der jeweiligen Einrichtung, nicht im Wesentlichen frei über die Aufgabenerledigung entscheiden könnten. Sie seien in der Entscheidung, welche Hilfemaßnahmen sie für die Kinder treffen, gebunden an die Hilfe- und Unterstützungspläne der Kostenträger. Die Beschäftigten seien in keiner Weise an der Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung beteiligt. Sie hätten keinen Einfluss auf das Ob und Wie von therapeutischen Maßnahmen, sondern könnten lediglich Vorschläge hierzu machen. Die Beteiligte zu 2) war weiterhin der Ansicht, dass die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Tendenzträger seien.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen der Beteiligten zu 1) stattgegeben.

Die Gründe:
Die Einstellung und Versetzung der maßgeblichen Beschäftigten waren ohne Zustimmung des Betriebsrates erfolgt und daher gem. § 101 Satz 1 BetrVG aufzuheben.

Die Arbeitgeberin ist zwar ein Tendenzunternehmen gem. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, da sie überwiegend karitative Zwecke verfolgt. Die Beschäftigten waren jedoch keine Tendenzträger i.S.v. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, so dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 99 BetrVG zur Anwendung kam. Bei Arbeitgebern, die karitativen oder erzieherischen Bestimmungen dienen, setzt die Tendenzträgereigenschaft der von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer voraus, dass diese bei den tendenzbezogenen Tätigkeitsinhalten im Wesentlichen frei über die Aufgabenerledigung entscheiden können. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kita- oder Schulassistenz sind dann keine Tendenzträger, wenn sie sie zwar Entscheidungen über Hilfemaßnahmen für die betreuten Kinder selbständig treffen können, diese aber nur in Abstimmung mit den jeweiligen Gesamt-, Hilfe- und Teilhabeplänen sowie mit den jeweiligen Lehrern umsetzen können.

Nach diesen Grundsätzen konnten die betroffenen Beschäftigten nicht als Tendenzträger angesehen werden. Sie sind nicht im Wesentlichen frei von Weisungen bei der Umsetzung der von der Arbeitgeberin verfolgten Tendenz. Während die Leistungsbeschreibung, die zwischen der Arbeitgeberin und den Kostenträgern vereinbart wird, noch sehr offen in der Gestaltung bleibt, konkretisieren die Gesamt-, Hilfe- und Teilhabepläne die Tätigkeit der betroffenen Assistentinnen und Assistenten schon erheblich, wenn auch hiernach noch eine gewisse Entscheidungsfreiheit der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbleibt. Zurecht und ohne Widerspruch hat der Betriebsrat jedoch darauf hingewiesen, dass alle Maßnahmen und Entscheidungen der Assistentinnen und Assistenten eingebunden sind in den jeweiligen Schulalltag.

Würde die Schulassistenz eine Maßnahme für das Kind im laufenden Unterricht für erforderlich halten, die Schule oder der Lehrer diese Maßnahme jedoch ablehnen, würde die Arbeitgeberin zwar versuchen zu vermitteln. Die Schulassistenz wäre aber nicht in der Lage, die Maßnahme eigenmächtig durchzusetzen. Dieses "Beziehungsgeflecht" oder die Arbeit von Schulassistent, Kostenträger und Schule "Hand in Hand" überlässt nach Auffassung der Kammer den Beschäftigten in der Schulassistenz keinen ausreichenden Entscheidungs- und Handlungsspielraum für eigene Vorstellungen. Insoweit ähnelt die hier zu entscheidende Konstellation dem Sachverhalt, der der BAG-Entscheidung v. 14.5.2013, 1 ABR 10/12 zugrunde lag. Es reichte vorliegend nicht aus, dass Schulassistenten im Einzelfall und in gutem Einvernehmen mit dem Lehrer bzw. der Schule und auf der Basis der im Einzelnen bestehenden Gesamt-, Hilfe- und Teilhabepläne ihre Entscheidung eigenverantwortlich umsetzen können.

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