02.11.2015

Konkretisierung der BAG-Rechtsprechung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)

Das Arbeitsgericht Berlin hat die vom BAG aufgestellten Anforderungen an ein wirksames betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) konkretisiert. Danach ist im Rahmen eines organisierten Suchprozesses zu prüfen, ob und ggf. in welcher Weise der Arbeitnehmer (wieder) beschäftigt werden kann. Hierbei sollen verschiedene, vom Arbeitsgericht konkret benannte Umstände zu berücksichtigen sein. Werde ein derartiges BEM nicht durchgeführt, könne eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam sein.

Arbeitsgericht Berlin 16.10.2015, 28 Ca 9065/15
+++ Der Sachverhalt:
Der Kläger war wegen einer Tumorerkrankung länger als ein Jahr arbeitsunfähig krank. Der beklagte Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis wegen dieser Fehlzeit und der ihm dadurch entstehenden Kosten. Dabei ging er davon aus, dass der Arbeitnehmer wegen der Schwere seiner Erkrankung nicht mehr zurückkehren werde. Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung für unwirksam.

+++Die Gründe:
Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht wirksam gekündigt. Er hat im Rahmen eines BEM nicht hinreichend geprüft, ob und ggf. in welcher Weise der Kläger wieder beschäftigt werden kann.

Erforderlich ist insoweit ein organisierter Suchprozess. Hierzu gehören

  • das Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, u.U. unter Einbeziehung von externem Sachverstand,
  • (in dafür geeigneten Fällen) die stufenweise Wiedereingliederung des Arbeitnehmers im Rahmen des sog. "Hamburger Modells",
  • die Prüfung, ob eine leidensgerechte Änderung der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte möglich ist sowie
  • die Prüfung, ob eine mögliche Umgestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit in Betracht kommt.

Wird ein derartiges BEM nicht durchgeführt, kann eine ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung unwirksam sein.

Nach diesen Grundsätzen war die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam. Das folgt insbesondere daraus, dass der Beklagte im Rahmen eines BEM nicht hinreichend geprüft hat, warum der Kläger auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht weiterbeschäftigt werden kann, warum ein Einsatz nach leidensgerechter Anpassung und Veränderung des bisherigen Arbeitsplatzes ausgeschlossen und warum auch eine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz mit einer anderen Tätigkeit nicht möglich ist.

+++ Der Hintergrund:
Der Arbeitgeber muss gem. § 84 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagements (BEM) mit dem Ziel der Wiedereingliederung des Arbeitnehmers durchführen, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig krank ist. Unterlässt er dies, kann er das Arbeitsverhältnis selbst bei erheblichen Ausfallzeiten des Arbeitnehmers regelmäßig nicht krankheitsbedingt kündigen.

LAG Berlin-Brandenburg PM Nr. 36/15 vom 29.10.2015
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