Massenentlassungszeige: Unverschuldeter Rechtsirrtum des Arbeitgebers über ordnungsgemäße Stellungnahme des Betriebsrats
LAG Düsseldorf 1.8.2017, 3 Sa 864/16Der Kläger ist seit 1998 bei der Beklagten als Qualitätsingenieur beschäftigt. Er war im Werk E der Beklagten beschäftigt, welches zum 31.12.2012 stillgelegt wurde. In dem Betrieb existierte ein Betriebsrat. Die Beklagte erstattet am 22.3.2012 eine Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG. Am 10.4.2012 reichte sie eine Stellungnahme des Betriebsrats gem. § 17 Abs. 3 KSchG bei der Agentur für Arbeit nach. Darin widersprach der Betriebsrat der Entlassung von 155 Mitarbeitern zum 31.12.2012 mit der Begründung, dass die Kündigungen der im Rahmen des Interessenausgleichs/Sozialplans erteilten Zusagen und der Option der Verlängerung der Zusagen für Beschäftigung zum 31.12.2013 widersprächen. Der Betriebsrat forderte die Beklagte auf, von den Kündigungen abzusehen und auf die Einhaltung der Beschäftigungszusage hinzuwirken.
Nach Anhörung des Betriebsrats und Ablauf der festgesetzten Sperrfrist kündigte die Beklagte am 21.5.2012 das Arbeitsverhältnis mit 155 Beschäftigten, darunter das des Klägers, zum 31.12.2012. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, die weder vor dem Arbeitsgericht noch vor dem LAG Erfolg hatte. Das BAG (Urt. v. 26.2.2015 - 2 AZR 371/14) hob das Urteil des LAG teilweise auf und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht aufgelöst worden war, da die Kündigung gegen § 17 Abs. 3 KSchG verstößt, weil die Stellungnahme des Betriebsrat den Anforderungen nicht genügt.
Die Beklagte zahlte dem Kläger die Vergütung für die Monate Januar bis Dezember 2013 und Mai 2015 sowie Zinsen für diese Zeit. Der Kläger forderte jedoch die Zahlung weiterer Verzugszinsen für 2013. Die Klage hatte vor sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte für die verspäteten Entgeltzahlungen der Monate Januar bis Dezember 2013 kein Anspruch auf Verzugszinsen nach §§ 286, 288 BGB zu. Bis zur Verkündung des Urteils des BAG am 26.2.2015 befand sich die Beklagte in einem den Anspruch nach § 286 Abs. 4 BGB ausschließenden entschuldbaren Rechtsirrtum. Für die Zeit danach bis zu Nachzahlung der Vergütung sind die berechtigten Zinsforderungen durch die bereits erfolgte Zahlung im Wege der Erfüllung nach § 362 BGB erloschen.
An das Vorliegen eines Rechtsirrtums stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen. Ein Rechtsirrtum ist entschuldbar, wenn die Rechtlage objektiv zweifelhaft ist und der Schuldner sie sorgfältig geprüft hat. Der Rechtsirrtum der Beklagten, die Stellungnahme des Betriebsrats genüge den Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, war entschuldbar, da gewichtige Anhaltspunkte für die Richtigkeit der vertretenen Rechtsmeinung gesprochen haben. Insbesondere war die Rechtsfrage nicht bereits durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt.
Die Beklagte hat daher nach sorgfältiger Prüfung der Rechtslage davon ausgehen dürfen, dass die Stellungnahme des Betriebsrats ausreichte. Allein, der Umstand, dass das Revisionsgericht die Stellungnahme als nicht hinreichend erachtet, führt nicht dazu, dass die Ausführungen der Beklagten und der vorherigen Instanzen unvertretbar gewesen sind. Im Gegenteil: Der Umstand, dass sämtliche in erster und zweiter Instanz in ca. 100 Kündigungsschutz- und ca. 20 Berufungsverfahren mit der Prüfung der Rechtslage beschäftigte Kammern von Arbeits- und Landesarbeitsgerichten die Frage der hinreichenden Stellungnahme ebenso mit vertretbaren Gründen bejaht haben, spricht dafür, dass von einem entschuldbaren unvermeidbaren Rechtsirrtum ausgegangen werden kann. Von der Beklagten kann nicht verlangt werden, dass sie den Sachverhalt rechtlich besser beurteilen kann als Berufsrichter.
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