17.05.2011

Mutterschutzzeiten müssen bei der betrieblichen Zusatzversorgung berücksichtigt werden

Gewährt der Arbeitgeber eine betriebliche Zusatzversorgung erst nach einer bestimmten Wartezeit, dürfen Mutterschutzzeiten insoweit nicht unberücksichtigt bleiben. Das gilt jedenfalls für öffentliche Arbeitgeber, die unmittelbar an die Beachtung des Gleichheitsgrundrechts gebunden sind. Eine solche Satzungsregelung (hier: der VBL) soll zwar Arbeitgeber ermuntern, Frauen im gebärfähigen Alter einzustellen. Dies rechtfertigt aber keine Diskriminierung von Müttern durch die Hintertür.

BVerfG 28.4.2011, 1 BvR 1409/10
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin war als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes über ihren Arbeitgeber bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert und befand sich 1988 für rund drei Monate im gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschutz.

Die VBL-Satzung sah bis zum 31.12.2000 vor, dass nur solche Arbeitnehmer die betriebliche Versorgungs- bzw. Versicherungsrente beanspruchen können, die eine Wartezeit von 60 sog. Umlagemonaten erfüllten. Eine Umlage mussten die Arbeitgeber grds. nur für solche Monate bezahlen, in denen der Arbeitnehmer steuerpflichtigen Arbeitslohn bezogen hat. Da das Mutterschutzgeld steuerfrei ist, wurden für die Mutterschutzzeiten keine Umlagen gezahlt. In der Folge blieben die Zeiten des Mutterschutzes bei der Wartezeitberechnung unberücksichtigt.

Eine andere Regelung bestand dagegen für Krankheitszeiten, in denen der Arbeitnehmer gesetzliche Lohnfortzahlung oder einen Krankengeldzuschuss nach den tarifvertraglichen Regelungen des öffentlichen Dienstes erhalten hat. Diese Zeiten wurden als Umlagezeiten berücksichtigt.

Im Fall der Beschwerdeführerin lehnte die VBL einen Anspruch auf Betriebsrente ab, weil sie insgesamt nur 59 Umlagemonate angesammelt und damit die Wartezeit nicht erreicht habe. Ihre Mutterschutzzeiten könnten nicht als umlagefähige Zeiten angerechnet werden. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Auf die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde hob das BVerfG die angegriffenen Urteile auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das zuständige LG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen Urteile verstoßen gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Da die VBL als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, ist ihre Satzung unmittelbar an den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG gebunden.

Die in der Satzung geregelte Nichtanrechnung von Mutterschutzzeiten als Umlagemonate für die Zusatzversorgung der VBL benachteiligt Müttern in zweifacher Hinsicht:

  • Zum einen werden Frauen mit Mutterschutzzeiten gegenüber männlichen Arbeitnehmern ungleich behandelt, da deren Erwerbsbiografien nicht durch die gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Mutterschutzzeiten unterbrochen werden.
  • Zum anderen liegt eine Ungleichbehandlung von Frauen in Mutterschutz gegenüber solchen Arbeitnehmern vor, die Krankengeld und einen Krankengeldzuschuss des Arbeitgebers erhalten.

Diese Ungleichbehandlung knüpft an das Geschlecht an. Sie ist nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt. Die Freistellung der Arbeitgeber von der Umlage für Mutterschutzzeiten dient zwar der tatsächlichen Gleichstellung. Den Arbeitgebern soll der Anreiz genommen werden, Frauen im gebärfähigen Alter nicht zu beschäftigen. Diese Systementscheidung darf aber nicht über daran anknüpfende Regelungen - wie die der Satzung der VBL - zulasten von Müttern gehen. Der bestehende Spielraum bei der Verteilung der Lasten des Mutterschutzes rechtfertigt keine Diskriminierung von Müttern durch die Hintertür.

Der Verstoß gegen das geschlechtsbezogene Diskriminierungsgebot führt dazu, dass die Beschwerdeführerin eine Anrechnung ihrer Mutterschutzzeiten auf die Wartezeit im Rahmen der betrieblichen Zusatzversorgung der VBL verlangen kann.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
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BVerfG PM Nr.33 vom 17.7.2011
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