22.05.2012

Neue Rechtsprechung zum Urlaub bei Langzeiterkrankung gilt nicht für tariflichen Mehrurlaub nach dem TVöD

Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH und BAG entfällt der Urlaubsanspruch eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers entgegen § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG zwar nicht schon am 31. März des Folgejahres. Das gilt aber grds. nur für den gesetzlichen Mindesturlaub. Für hierüber hinausgehende Urlaubsansprüche können die Tarifvertragsparteien Abweichendes regeln. § 26 TVöD, wonach der Urlaubsanspruch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. Mai des Folgejahres angetreten werden muss, stellt eine solche abweichende Regelung dar.

BAG 22.5.2012, 9 AZR 575/10
+++ Der Sachverhalt:
Der Kläger ist seit 1974 bei der beklagten Stadt als Angestellter beschäftigt. Sein Urlaubsanspruch beträgt gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) 30 Arbeitstage. § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD bestimmt abweichend von der Regelung in § 7 Abs. 3 BUrlG, dass der Erholungsurlaub im Fall seiner Übertragung bis zum 31. Mai des Folgejahres angetreten werden muss, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum 31. März des Folgejahres angetreten werden konnte.

Der Kläger war vom 23.6.2007 bis zum 7.10.2009 krankheitsbedingt arbeitsunfähig und konnte deshalb den tariflichen Mehrurlaub für 2007 und 2008 von jeweils zehn Tagen weder während des Urlaubsjahres noch bis Ende Mai des Folgejahres nehmen. Mit seiner Klage verlangte er von der Beklagten, ihm den tariflichen Mehrurlaub für diese beiden Jahre als Ersatzurlaub zu gewähren. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

+++ Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Ersatzurlaub für den in den Jahren 2007 und 2008 krankheitsbedingt nicht genommenen tariflichen Mehrurlaub.

Ist ein Arbeitnehmer fortdauernd arbeitsunfähig erkrankt, verfällt sein Mindesturlaubsanspruch entgegen § 7 Abs. 3 BUrlG aufgrund europarechtlicher Vorgaben zwar nicht schon am 31. März des Folgejahres. Der von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleistete Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen darf nach der neueren Rechtsprechung des EuGH nicht vor Ablauf eines den Bezugszeitraum deutlich übersteigenden Zeitraums verfallen, wenn der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaub nicht nehmen konnte.

Die Tarifvertragsparteien können aber hiervon abweichend Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den Anspruch auf gesetzlichen Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen (Mehrurlaub), frei regeln. Ob sie von dieser Regelungsmacht Gebrauch gemacht haben, ist durch Auslegung der maßgeblichen Tarifbestimmungen festzustellen.

§ 26 Abs. 2 TVöD stellt eine solche abweichende Regelung für tariflichen Mehrurlaub dar. Zwar haben die Tarifvertragsparteien des TVöD nicht ausdrücklich zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen  und dem tariflichen Mehrurlaub differenziert. Sie haben sich aber hinreichend deutlich vom gesetzlichen Fristenregime in § 7 Abs. 3 BUrlG gelöst, indem sie die Übertragung und den Verfall des Urlaubsanspruchs in § 26 Abs. 2 TVöD eigenständig geregelt haben. Dies hindert die Annahme eines "Gleichlaufs" des gesetzlichen Mindesturlaubs und des tariflichen Mehrurlaubs.

Daher ist der Anspruch des Klägers auf Mehrurlaub aus dem Jahr 2007 am 31. Mai 2008 und der auf Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 am 31. Mai 2009 verfallen.

+++ Weitere Entscheidung zum TV-L:
Mit einem weiteren Urteil vom 22.5.2012 (Az.: 9 AZR 618/10) hat das BAG der Revision eines Arbeitnehmers teilweise stattgegeben, der den ihm nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zustehenden Mehrurlaub aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten haben wollte. Der Neunte Senat hat entschieden, dass die Urlaubsregelung im TV-L den Anspruch des Beschäftigten auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs nicht daran knüpft, dass der Beschäftigte zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist oder seine Arbeitsfähigkeit während des tariflichen Übertragungszeitraums wieder erlangt.

+++ Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.

BAG PM Nr. 37/12 vom 22.5.2012
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