07.06.2019

Neue Urlaubsrechtsprechung: Arbeitgeber müssen auch auf Resturlaubsansprüche aus vorangegangenen Kalenderjahren hinweisen

§ 7 BUrlG ist dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass Urlaub nur verfallen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Diese Initiativlast des Arbeitgebers ist nicht auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern bezieht sich auch auf den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.

LAG Köln v. 9.4.2019 - 4 Sa 242/18
Der Sachverhalt:
Der Beklagte war Inhaber einer Apotheke. Der Kläger war bei dem Beklagten als Bote mit einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. In dieser Funktion fuhr der Kläger für den Beklagten Medikamente aus. In dem Arbeitsvertrag ist unter anderem aufgeführt:

§ 9 Besondere Vereinbarungen:

Auf eigenen Wunsch nimmt [der Kläger] seinen Jahresurlaub in Form von wöchentlicher Arbeitsverkürzung [in Anspruch]. Er arbeitet statt den bezahlten 30 Stunden pro Woche nur 27,5 Stunden pro Woche.


Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Er stellte den Kläger für die letzten 3 Monate des Arbeitsverhältnisses betriebsbedingt von der Arbeit frei. Der Kläger forderte den Beklagten auf, den Urlaubsanspruch für die letzten Jahre abzugelten, was der Beklagte ablehnte.

Das Arbeitsgericht gab der Klage nur teilweise statt. Die Berufung des Klägers war vor dem LAG überwiegend erfolgreich.

Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen den Beklagten gem. § 7 Abs. 4 BUrlG ein Anspruch auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus den Jahren 2014 bis 2016 zu.

Dem Kläger stand jährlich ein Urlaub gem. § 3 BUrlG zu. Die Regelungen des Arbeitsvertrags der Parteien stehen dem nicht entgegen, weil es sich dabei um eine Abweichung zuungunsten des Arbeitsnehmers handelt, die § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nicht zulässt. Eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung stellt keinen Erholungsurlaub im Sinne der §§ 1 ff. BUrlG dar. Der Urlaub für die drei Jahre vor Kündigung des Klägers ist nicht gem. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG verfallen. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG kann der Verfall von Urlaub in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt.

Diese Initiativlast des Arbeitgebers ist nicht auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren. Ein anderes Verständnis würde dem Zweck des Anspruchs auf Jahresurlaub, insbesondere dem des Gesundheitsschutzes, zuwiderlaufen. Denn - anders als in den Fällen der Langzeiterkrankung - genießt der Arbeitgeber, der von der andauernden Anwesenheit des Arbeitnehmers profitiert hat, keinen Schutz. Ließe man ein solches Erlöschen der vom Arbeitnehmer erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub zu, würde man im Ergebnis ein Verhalten bestätigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führt und dem eigentlichen Zweck der Richtlinie, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwiderläuft. Seinen entsprechenden Obliegenheiten ist der Beklagte nicht nachgekommen.

Der Zahlungsanspruch ist nicht infolge Aufrechnung gem. § 389 BGB erloschen. Für einen solchen Anspruch auf Grundlage von § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB wäre erforderlich, dass der Beklagte an den Kläger Vergütung in entsprechender Höhe ohne rechtlichen Grund gezahlt hätte. Ein solcher Rechtsgrund läge jedenfalls dann vor, wenn der Kläger - wie von ihm behauptet - die Stundenzahl von 30 Stunden pro Woche regelmäßig erreicht hätte. Diesem Vorbringen des Klägers ist der Beklagte schon nicht ausreichend entgegengetreten.

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