17.10.2018

Schwerbehindertenvertretung: Vorschriften über die Wahlanfechtung bei der Wahl des Betriebsrats entsprechend anzuwenden

Nach § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX sind die Vorschriften über die Wahlanfechtung bei der Wahl des Betriebsrats entsprechend auf die Wahl der Schwerbehindertenvertretung anzuwenden. Daraus folgt, dass der Abbruch der Wahl aufgrund von Mängeln des Wahlverfahrens nur in Betracht kommt, wenn die Wahl voraussichtlich nichtig wäre; die Verkennung des Betriebsbegriffs führt nicht zur Nichtigkeit der Wahl.

LAG Hessen 2.7.2018, 16 TaBVGa 135/18
Der Sachverhalt:

Die Beteiligten streiten über den Abbruch der regelmäßigen Wahl zur Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen.

Die Beteiligte zu 4) (Arbeitgeber) ist eine Fluggesellschaft, die für das bei ihr beschäftigte fliegende Personal in A, B und C sog. Stationen unterhält. Auf der Grundlage von § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG besteht für das Unternehmen des Arbeitgebers der Tarifvertrag Personalvertretung Nr. 2 vom 31.5.2017. Die Beteiligte zu 5) ist die auf dieser Grundlage gebildete Gesamtvertretung des fliegenden Personals. Die Antragsteller zu 1) - 3) sind Mitarbeiter des fliegenden Personals des Arbeitgebers, die der Station A zugeordnet sind. Sie sind als schwerbehinderte Menschen i.S.v. § 2 SGB IX anerkannt.

Mit Schreiben vom 8.6.2018 lud die Gesamtvertretung für den 4.7.2018 zur Wahl des Wahlvorstands für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für das fliegende Personal im Betrieb des Arbeitgebers ein. Bereits mit Schreiben vom 4.6.2018 hatten die Antragsteller für den 2.7.2018 zu einer Wahlversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung für das fliegende Personal der Station A eingeladen.

Die Antragsteller begehren den Abbruch des Wahlverfahrens, weil maßgebliche Organisationseinheit für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung der jeweilige Betrieb, in dem das fliegende Personal beschäftigt werde, und damit die Stationen A, B und C als selbstständige Betriebe i.S.v. § 177 Abs. 1 SGB IX seien.

Das ArbG wies die Anträge zurück. Die Beschwerde der Antragsteller hatte vor dem LAG keinen Erfolg. Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde zum BAG nicht statthaft.

Die Gründe:

Der gerichtliche Abbruch einer Betriebsratswahl aufgrund von Mängeln des Wahlverfahrens kommt nur in Betracht, wenn die Wahl voraussichtlich nichtig wäre. Dies ist nur bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht, der Fall. Die Verkennung des Betriebsbegriffs führt nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Diese Grundsätze gelten auch für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung, denn nach § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX sind die Vorschriften über die Wahlanfechtung bei der Wahl des Betriebsrats sinngemäß anzuwenden.

Wie das ArbG zutreffend erkannt hat, führt die von den Antragstellern angenommene Verkennung des Betriebsbegriffs nicht zur Nichtigkeit der Wahl der Schwerbehindertenvertretung. Ein derartiger Mangel wiegt nicht so schwer, dass bereits der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht.

Der begehrte Abbruch der Wahl der Schwerbehindertenvertretung ergibt sich auch nicht daraus, dass einerseits die Antragsteller, andererseits die Gesamtvertretung des fliegenden Personals ausgehend von unterschiedlichen Betriebsbegriffen zeitlich parallel (2.7.2018 und 4.7.2018) zur Wahl eines Wahlvorstands für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für das fliegende Personal einladen. Ausgehend von der Rechtsprechung des BAG, nach der ein Abbruch des Wahlverfahrens nur im Falle der Nichtigkeit möglich ist, sind auch derartige parallel durchgeführte Wahlen, sofern es sich - wie im Streitfall - um die regelmäßigen Wahlen i.S.v. § 177 Abs. 5 S. 1 SGB IX handelt, hinzunehmen.

Die Frage des zutreffenden Betriebsbegriffs kann in einem Anfechtungsverfahren im Nachhinein geklärt werden. Nur so ist gewährleistet, dass schwerbehindertenvertretungslose Zeiten vermieden werden können. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass auch beide eingeleiteten Wahlverfahren auf einer Verkennung des Betriebsbegriffs beruhen könnten. Sofern die Antragsteller der Auffassung sind, die konkurrierende Wahl behindere die von Ihnen eingeleitete Wahl, erschließt sich nicht, worin die "Behinderung" der Wahl konkret liegen könnte. Die schwerbehinderten Menschen können sich an beiden Wahlen beteiligen, über deren Wirksamkeit im Nachhinein im Anfechtungsverfahren entschieden wird. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die faktisch bestehende Doppelstruktur von zwei Schwerbehindertenvertretungen hinzunehmen. Dies folgt aus der Rechtsprechung des BAG.

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