Streit um Abfindungsregelung in einem Sozialplan
LAG Nürnberg v. 19.1.2023, 8 Sa 164 22
Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit 1995 bei der Beklagten als Knüpfer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 2.494 € beschäftigt. Anfang 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.8.2021. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht mittlerweile rechtskräftig fest.
Die Beklagte und der Betriebsrat hatten am 13.1.2021 einen Sozialplan zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile erstellt.
"§ 3 Abfindungen" des Sozialplanes lautet auszugsweise:
(1) Erfasste Arbeitnehmer erhalten zum Ausgleich des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Brutto-Abfindung gemäß den nachfolgenden Regelungen, soweit nachfolgend nicht etwas Abweichendes geregelt ist.
(2) Die Höhe der Abfindung berechnet sich wie folgt:
"Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsverdienst x 0,6 x Altersfaktor Die Betriebspartner vereinbaren folgende Altersfaktoren:
- bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres: 1,0
- ab Vollendung des 62. Lebensjahres: 0,25 Bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres beträgt die Abfindung jedoch höchstens EUR 70.000,00 (brutto), ab Vollendung des 62. Lebensjahres beträgt die Abfindung höchstens EUR 35.000,00 (brutto).
Darüber hinausgehende Beträge werden gekappt (Höchstbeträge)."
Der Sozialplan trat am 13.1.2021 in Kraft.
Nachdem der Kläger zum Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet hatte, errechnete die Beklagte dessen Abfindung mit einem Altersfaktor 0,25. Dies ergab eine Abfindung i.H.v. 9.249 €. Die Regelaltersrente kann der Kläger ab 2025 beanspruchen. Laut der von ihm selbst vorgelegten Rentenauskunft weist der Kläger eine Wartezeit von 516 Monaten und damit 43 Jahren auf und kann als langjährig Versicherter eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen ab dem 63. Lebensjahr, d.h. ab 2022 beanspruchen.
Der Kläger war der Ansicht, dass die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes altersdiskriminierend und auch nicht nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gerechtfertigt sei. Es bestünde keine rechtliche Bewertungsgrundlage, dass der Kläger, wenn er zum Beispiel am 1.2.1959 geboren wäre, mehr soziale Absicherung bedurft hätte, als mit seinem Geburtsdatum 16.12.1958. Infolgedessen forderte er eine Abfindung i.H.v. 36.996 €.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Allerdings wurde die Revision zugelassen. Sie ist beim BAG unter dem Az. 1 AZR 15/23 anhängig.
Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine 9.249 € brutto übersteigende Abfindung aus dem Sozialplan vom 13.1.2021. Die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes, die für Arbeitnehmer, die am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben, einen Altersfaktor von 0,25 anstatt von 1,0 vorsieht, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Eine Abfindungsregelung in einem Sozialplan, die für die Arbeitnehmer, die vor Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben und die nach dem 24-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld I entweder eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder die Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, eine Kürzung der Standardabfindung auf ¼ vorsieht, stellt eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 Nr. 6 AGG dar. Die Betriebsparteien haben dabei die Höhe der den betroffenen Arbeitnehmern konkret zustehende Altersrente nicht zu berücksichtigen.
Die vorliegende Kürzung der Abfindung auf ¼ für Arbeitnehmer, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, bewirkt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG. Die Benachteiligung ist jedoch vorliegend nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alt. i.V.m. § 10 Satz 2 AGG gerechtfertigt. Danach können die Betriebsparteien u.a. Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, weil diese gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld I rentenberechtigt sind. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt mit dieser Regelung das im Allgemeininteresse liegende sozialpolitische Ziel, den Betriebsparteien zu ermöglichen, Sozialplanleistungen an den wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, die den Arbeitnehmern drohen, die durch eine Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren.
Die dem Kläger durch den Wegfall des Arbeitsentgeltes entstehenden wirtschaftlichen Nachteile werden während des Arbeitslosengeldbezuges durch die Abfindung i.H.v. 9.249 € zumindest substantiell ausgeglichen. Danach gilt der Kläger durch die Möglichkeit des Bezugs einer vorzeitigen Altersrente als wirtschaftlich abgesichert. Es bestand aufgrund des Gestaltungsspielraums, keine Verpflichtung der Sozialpartner zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der Gruppe der rentennahen Arbeitnehmer zwischen Arbeitnehmern, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs vorzeitige Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nehmen können, und Arbeitnehmern mit Anspruch auf Regelaltersrente.
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Kommentierung
Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 10. Aufl. 2022
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Bayern.Recht
Der Kläger war seit 1995 bei der Beklagten als Knüpfer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 2.494 € beschäftigt. Anfang 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.8.2021. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht mittlerweile rechtskräftig fest.
Die Beklagte und der Betriebsrat hatten am 13.1.2021 einen Sozialplan zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile erstellt.
"§ 3 Abfindungen" des Sozialplanes lautet auszugsweise:
(1) Erfasste Arbeitnehmer erhalten zum Ausgleich des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Brutto-Abfindung gemäß den nachfolgenden Regelungen, soweit nachfolgend nicht etwas Abweichendes geregelt ist.
(2) Die Höhe der Abfindung berechnet sich wie folgt:
"Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsverdienst x 0,6 x Altersfaktor Die Betriebspartner vereinbaren folgende Altersfaktoren:
- bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres: 1,0
- ab Vollendung des 62. Lebensjahres: 0,25 Bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres beträgt die Abfindung jedoch höchstens EUR 70.000,00 (brutto), ab Vollendung des 62. Lebensjahres beträgt die Abfindung höchstens EUR 35.000,00 (brutto).
Darüber hinausgehende Beträge werden gekappt (Höchstbeträge)."
Der Sozialplan trat am 13.1.2021 in Kraft.
Nachdem der Kläger zum Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet hatte, errechnete die Beklagte dessen Abfindung mit einem Altersfaktor 0,25. Dies ergab eine Abfindung i.H.v. 9.249 €. Die Regelaltersrente kann der Kläger ab 2025 beanspruchen. Laut der von ihm selbst vorgelegten Rentenauskunft weist der Kläger eine Wartezeit von 516 Monaten und damit 43 Jahren auf und kann als langjährig Versicherter eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen ab dem 63. Lebensjahr, d.h. ab 2022 beanspruchen.
Der Kläger war der Ansicht, dass die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes altersdiskriminierend und auch nicht nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gerechtfertigt sei. Es bestünde keine rechtliche Bewertungsgrundlage, dass der Kläger, wenn er zum Beispiel am 1.2.1959 geboren wäre, mehr soziale Absicherung bedurft hätte, als mit seinem Geburtsdatum 16.12.1958. Infolgedessen forderte er eine Abfindung i.H.v. 36.996 €.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Allerdings wurde die Revision zugelassen. Sie ist beim BAG unter dem Az. 1 AZR 15/23 anhängig.
Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine 9.249 € brutto übersteigende Abfindung aus dem Sozialplan vom 13.1.2021. Die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes, die für Arbeitnehmer, die am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben, einen Altersfaktor von 0,25 anstatt von 1,0 vorsieht, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Eine Abfindungsregelung in einem Sozialplan, die für die Arbeitnehmer, die vor Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben und die nach dem 24-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld I entweder eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder die Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, eine Kürzung der Standardabfindung auf ¼ vorsieht, stellt eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 Nr. 6 AGG dar. Die Betriebsparteien haben dabei die Höhe der den betroffenen Arbeitnehmern konkret zustehende Altersrente nicht zu berücksichtigen.
Die vorliegende Kürzung der Abfindung auf ¼ für Arbeitnehmer, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, bewirkt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG. Die Benachteiligung ist jedoch vorliegend nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alt. i.V.m. § 10 Satz 2 AGG gerechtfertigt. Danach können die Betriebsparteien u.a. Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, weil diese gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld I rentenberechtigt sind. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt mit dieser Regelung das im Allgemeininteresse liegende sozialpolitische Ziel, den Betriebsparteien zu ermöglichen, Sozialplanleistungen an den wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, die den Arbeitnehmern drohen, die durch eine Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren.
Die dem Kläger durch den Wegfall des Arbeitsentgeltes entstehenden wirtschaftlichen Nachteile werden während des Arbeitslosengeldbezuges durch die Abfindung i.H.v. 9.249 € zumindest substantiell ausgeglichen. Danach gilt der Kläger durch die Möglichkeit des Bezugs einer vorzeitigen Altersrente als wirtschaftlich abgesichert. Es bestand aufgrund des Gestaltungsspielraums, keine Verpflichtung der Sozialpartner zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der Gruppe der rentennahen Arbeitnehmer zwischen Arbeitnehmern, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs vorzeitige Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nehmen können, und Arbeitnehmern mit Anspruch auf Regelaltersrente.
Kommentierung
Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 10. Aufl. 2022
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