26.07.2019

Sturz bei Spaziergang während einer Arbeitspause ist kein Arbeitsunfall

Verlässt ein Arbeitnehmer in einer von ihm selbst aufgrund eines individuell gestaltbaren Arbeitstages eingelegten Arbeitspause das Firmengebäude und zieht sich aufgrund eines Stolperns auf dem Weg zu einem Spaziergang körperliche Verletzungen zu, handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall i.S.d. § 8 SGB VII.

Hessisches LSG v. 14.6.2019 - L 9 U 208/17
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist seit einigen Jahren Fondsmanager. Arbeitsbeginn und Arbeitsende sowie Dauer, Zeitpunkt und Häufigkeit von persönlich bedingten Arbeitsunterbrechungen konnte er selbst bestimmen. An dem Tag des streitgegenständlichen Sturzes begann der Kläger seinen Arbeitstag um ca. 11 Uhr. Nach einem für ihn üblichen Tagesablauf verließ er etwa zwei Stunden später das Gebäude, um spazieren zu gehen und "Luft zu schnappen".

Vor dem Firmengebäude stürzte er, abgelenkt von dort angetroffenen Kollegen, über eine herausstehende Bodenplatte und zog sich Schürfwunden an Händen und Knie zu. Die Beklagte Versicherung lehnte Ansprüche auf Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung ab. Hiergegen ging der Fondsmanager mit seiner Klage vor.

Das SG wies die Klage ab. Die vor dem hessischen LSG erhobene Berufung blieb ebenfalls erfolglos. Die Revision zum BSG wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen von der Gesetzlichen Unfallversicherung zu. Es handelte sich bei dem Sturz nicht um einen Arbeitsunfall gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründeten Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt zunächst voraus, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung besteht. Die Verrichtung muss weiterhin zu dem von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt haben (Unfallkausalität) und das Unfallereignis den Gesundheitsschaden des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

Die Verrichtung des Klägers zur Zeit des Unfallereignisses - das Gehen - stand nicht in einem sachlichen Zusammenhang zu seiner versicherten Tätigkeit als Fondsmanager. Die Tätigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt war nicht aufgrund arbeitsvertraglicher Pflichten betriebsdienlich, sondern prinzipiell eine eigenwirtschaftliche Verrichtung, die auch nicht ausnahmsweise unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung stand. Das Spazierengehen gehört nicht zu der sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebenden Hauptpflicht des Klägers. Vielmehr ist ein Spaziergang in der Arbeitspause grundsätzlich dem privaten und damit unversicherten Lebensbereich zuzuordnen, weil hiermit in gleicher Weise wie durch Essen und Trinken Grundbedürfnisse gestillt werden, die ein jeder Mensch unabhängig davon hat, ober einer versicherten Tätigkeit nachgeht oder nicht.

Es liegt keine Konstellation vor, in der ausnahmsweise eine an sich unversicherte eigenwirtschaftliche Verrichtung unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung steht. Der Spaziergang war nicht ausnahmsweise aufgrund der objektiven Handlungstendenz des Klägers betriebsdienlich. Verunglückt ein Versicherter während einer Pause infolge einer Tätigkeit, die er während der Pause ausübt, besteht der innere Zusammenhang nur, wenn diese Tätigkeit dem Betrieb zu dienen bestimmt war. Dies ist bei einem Spaziergang nur der Fall, wenn er aus besonderen Gründen zur notwendigen Erholung für eine weitere betriebliche Betätigung erforderlich ist. Eine solche Belastung war beim Kläger nicht festzustellen.

Der Weg des Klägers "zur Pause" war nicht entsprechend den Grundsätzen über versicherte Wege im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme oder der Verrichtung der Notdurft versichert. Im Gegensatz zum Weg "zu einem Spaziergang" dienen diese Pausen einerseits zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit. Andererseits handelt es sich dann um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich an der Arbeitsstätte anwesend zu sein, um dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Diese Grundsätze sind nicht auf einen Spaziergang übertragbar, weil dieser nicht aus biologischen Gründen bei jedem Menschen erforderlich sind.

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