Unwirksamkeit der Kündigungen des Cockpit-Personals von Air Berlin wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige
BAG v. 27.2.2020 - 8 AZR 215/19
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist seit dem Januar 2018 Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fluggesellschaft Air Berlin mit Sitz in Berlin. Das Insolvenzverfahren war im November 2017 eröffnet worden und zunächst Eigenverwaltung angeordnet sowie der Beklagte zum Sachverwalter bestellt. Air Berlin unterhielt an mehreren Flughäfen sog. Stationen. Diesen war Personal für die Bereiche Boden (soweit vorhanden), Kabine und Cockpit zugeordnet. Der Kläger war bei Air Berlin als Flugkapitän beschäftigt und der Station Köln zugeordnet.
Die Arbeitsverhältnisse des gesamten Cockpit-Personals - einschließlich des Klägers - waren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung wegen Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017 gekündigt worden. Air Berlin erstattete die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen "Betrieb Cockpit" bezogen auf das gesamte bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal bei der für ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Dieses Betriebsverständnis entsprach den bei der Air Berlin tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal (vgl. § 117 Abs. 2 BetrVG) und trug der zentralen Steuerung des Flugbetriebs Rechnung.
Der Kläger hat die Stilllegungsentscheidung bestritten und die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht. Er war der Ansicht, der Flugbetrieb werde durch andere Fluggesellschaften (teilweise) fortgeführt, darunter auch das sog. Wet Lease für eine andere Fluggesellschaft. Angesichts dessen habe eine Sozialauswahl nach dem KSchG durchgeführt werden müssen. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.
Die Vorinstanzen haben die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat das BAG die Entscheidungen aufgehoben und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Die Kündigungen des Cockpit-Personals von Air Berlin sind wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam.
Wie bereits der Sechste Senat des BAG entschieden hat, handelte es sich ausgehend von dem durch die Richtlinie 98/59/EG determinierten Betriebsbegriff bei den Stationen der Air Berlin um Betriebe i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG. Folglich hätte die Massenentlassungsanzeige für das der Station Köln zugeordnete Cockpit-Personal bei der dafür zuständigen Agentur für Arbeit in Köln erfolgen müssen.
Die Anzeige hätte zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränkt sein dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station Köln etwa zugeordnete Boden-Personal und das dieser Station zugeordnete Kabinen-Personal erfassen müssen. Die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord, die zudem nicht die erforderlichen Angaben enthielt, bewirkt die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung nach § 17 Abs. 1 KSchG, § 134 BGB.
Die Frage eines etwaigen Betriebs(teil)übergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, der im Einklang mit der Richtlinie 2001/23/EG auszulegen ist, sowie die sich ggf. anschließende Frage einer etwa erforderlichen Sozialauswahl nach dem KSchG konnten deshalb offen bleiben. Allerdings ist nach den bisher vom LAG getroffenen Feststellungen und dem unstreitigen Parteivorbringen nicht auszuschließen, dass die Kündigung auch mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam ist. Es spricht zwar nichts dafür, dass die sog. Stationen "wirtschaftliche Einheiten" i.S.v. § 613a BGB und der Richtlinie 2001/23/EG waren. Anderes könnte jedoch für das sog. Wet Lease für eine andere Fluggesellschaft in Betracht kommen, das von einer weiteren Fluggesellschaft fortgesetzt wurde.
BAG PM Nr. 11 vom 27.2.2020
Der Beklagte ist seit dem Januar 2018 Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fluggesellschaft Air Berlin mit Sitz in Berlin. Das Insolvenzverfahren war im November 2017 eröffnet worden und zunächst Eigenverwaltung angeordnet sowie der Beklagte zum Sachverwalter bestellt. Air Berlin unterhielt an mehreren Flughäfen sog. Stationen. Diesen war Personal für die Bereiche Boden (soweit vorhanden), Kabine und Cockpit zugeordnet. Der Kläger war bei Air Berlin als Flugkapitän beschäftigt und der Station Köln zugeordnet.
Die Arbeitsverhältnisse des gesamten Cockpit-Personals - einschließlich des Klägers - waren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung wegen Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017 gekündigt worden. Air Berlin erstattete die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen "Betrieb Cockpit" bezogen auf das gesamte bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal bei der für ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Dieses Betriebsverständnis entsprach den bei der Air Berlin tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal (vgl. § 117 Abs. 2 BetrVG) und trug der zentralen Steuerung des Flugbetriebs Rechnung.
Der Kläger hat die Stilllegungsentscheidung bestritten und die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht. Er war der Ansicht, der Flugbetrieb werde durch andere Fluggesellschaften (teilweise) fortgeführt, darunter auch das sog. Wet Lease für eine andere Fluggesellschaft. Angesichts dessen habe eine Sozialauswahl nach dem KSchG durchgeführt werden müssen. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.
Die Vorinstanzen haben die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat das BAG die Entscheidungen aufgehoben und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Die Kündigungen des Cockpit-Personals von Air Berlin sind wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam.
Wie bereits der Sechste Senat des BAG entschieden hat, handelte es sich ausgehend von dem durch die Richtlinie 98/59/EG determinierten Betriebsbegriff bei den Stationen der Air Berlin um Betriebe i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG. Folglich hätte die Massenentlassungsanzeige für das der Station Köln zugeordnete Cockpit-Personal bei der dafür zuständigen Agentur für Arbeit in Köln erfolgen müssen.
Die Anzeige hätte zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränkt sein dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station Köln etwa zugeordnete Boden-Personal und das dieser Station zugeordnete Kabinen-Personal erfassen müssen. Die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord, die zudem nicht die erforderlichen Angaben enthielt, bewirkt die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung nach § 17 Abs. 1 KSchG, § 134 BGB.
Die Frage eines etwaigen Betriebs(teil)übergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, der im Einklang mit der Richtlinie 2001/23/EG auszulegen ist, sowie die sich ggf. anschließende Frage einer etwa erforderlichen Sozialauswahl nach dem KSchG konnten deshalb offen bleiben. Allerdings ist nach den bisher vom LAG getroffenen Feststellungen und dem unstreitigen Parteivorbringen nicht auszuschließen, dass die Kündigung auch mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam ist. Es spricht zwar nichts dafür, dass die sog. Stationen "wirtschaftliche Einheiten" i.S.v. § 613a BGB und der Richtlinie 2001/23/EG waren. Anderes könnte jedoch für das sog. Wet Lease für eine andere Fluggesellschaft in Betracht kommen, das von einer weiteren Fluggesellschaft fortgesetzt wurde.