Urlaubsabgeltungsanspruch von langzeiterkrankten Arbeitnehmern darf auf 15 Monate beschränkt werden
EuGH 22.11.2011, C-214/10Der Kläger des Ausgangsverfahrens war seit 1964 bei einem deutschen Unternehmen beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war ein Tarifvertrag anwendbar, wonach
- der Arbeitnehmer Anspruch auf 30 Tage bezahlten Urlaub im Jahr hat,
- eine Abgeltung des nicht genommenen Jahresurlaubs nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig ist und
- ein wegen Krankheit nicht genommener Jahresurlaub nach Ablauf einer Übertragungsfrist von 15 Monaten nach dem Bezugszeitraum (Kalenderjahr) erlischt.
Im Jahr 2002 erkrankte der Kläger und war fortan bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im August 2008 arbeitsunfähig. Mit seiner 2009 erhobenen Klage nahm er seinen Arbeitgeber auf Abgeltung des nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs für die Jahre 2006 bis 2008 in Anspruch.
Das mit der Sache befasste LAG Hamm stellte fest, dass der Urlaubsanspruch für das Jahr 2006 nach der deutschen Regelung und nach dem Tarifvertrag wegen des Ablaufs des Übertragungszeitraums erloschen ist. Es legte dem EuGH die Frage vor, ob diese Rechtsfolge mit der Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG) vereinbar ist. Der EuGH bejahte dies.
Die Gründe:
Das Unionsrecht steht im Fall eines über mehrere Jahre arbeitsunfähigen Arbeitnehmers einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Tarifverträgen nicht entgegen, die die Möglichkeit, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, auf einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten beschränken.
Ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub während einer mehrjährigen Arbeitsunfähigkeit würde nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen. Der Urlaub dient danach zum einen der Erholung von der Arbeit und zum anderen der Zurverfügungstellung eines Zeitraums für Entspannung und Freizeit.
Zwar entfalten sich diese Zwecke nur dann vollständig, wenn der Urlaub im laufenden Jahr genommen wird. Jedoch verliert die Ruhezeit ihre Bedeutung nicht unbedingt, wenn sie zu einer späteren Zeit nachgeholt wird. Das gilt allerdings nur, wenn der Übertrag eine gewisse zeitliche Grenze nicht überschreitet, da irgendwann die positive Erholungswirkung des Urlaubs entfällt.
Für die Länge des Übertragungszeitraums sind folgende zwei Aspekte zu berücksichtigen:
- Zugunsten der Arbeitnehmer muss gewährleistet sein, dass der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums, für den der Anspruch gewährt wird, deutlich überschreitet.
- Zugunsten der Arbeitgeber ist sicherzustellen, dass diese vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und den Schwierigkeiten geschützt werden, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können.
Nach diesen Grundsätzen kann ein Zeitraum, der wie im Streitfall 15 Monate beträgt, vernünftigerweise als Übertragungszeitraum angesehen werden, der dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht zuwiderläuft, da er sicherstellt, dass dieser Anspruch seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit behält.
Linkhinweis:
Für den auf der Website des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.
Mehr zum Thema:
Alle wichtigen aktuellen Entscheidungen zum Thema "Urlaub bei Langzeiterkrankung" finden Sie in ArbRB online. Hier ist auch ein Aufsatz von Fröhlich/Schelp mit dem Titel "Konsequenzen aus der neuen Urlaubsrechtsprechung" (ArbRB 2011, 278 ff.) veröffentlicht, der sich u.a. mit den Schlussanträgen in dieser Sache befasst.
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