21.12.2018

Verfassungsbeschwerde gegen tarifvertragliche Differenzierungsklausel erfolglos

Eine unterschiedliche Behandlung gewerkschaftlich organisierter und nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer in einem Tarifvertrag verletzt nicht die negative Koalitionsfreiheit. Dies gilt jedenfalls, wenn sich daraus nur ein faktischer Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt ergibt, aber weder Zwang noch Druck entsteht.

BVerfG v. 14.11.2018 - 1 BvR 1278/16
Der Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Bestimmungen zu Überbrückungs- und Abfindungsleistungen in einem Sozialtarifvertrag. Bestimmte Leistungen sollten danach nur Beschäftigten zukommen, die an einem vereinbarten Stichtag Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft waren. Der Beschwerdeführer erhielt die Leistungen nicht, da er keiner Gewerkschaft angehörte. Er wurde lediglich arbeitsvertraglich und durch einen Sozialplan begünstigt. Seine Klage auf die weiteren Leistungen blieb erfolglos.

Mit seiner vorliegenden Verfassungsbeschwerde macht er insbesondere geltend, er werde durch die Differenzierungsklausel in dem Tarifvertrag benachteiligt. Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Das BVerfG nahm sie nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:

Art. 9 Abs. 3 GG schützt auch die Freiheit, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fernzubleiben. Daher darf kein Zwang oder Druck in Richtung auf eine Mitgliedschaft ausgeübt werden. Die Tatsache, dass organisierte Arbeitnehmer anders behandelt werden als nicht organisierte Beschäftigte, bedeutet insofern jedoch noch keine Grundrechtsverletzung, solange sich daraus nur ein eventueller faktischer Anreiz zum Beitritt ergibt, aber weder Zwang noch Druck entsteht. Vorliegend behauptet der Beschwerdeführer zwar, es gebe einen generalpräventiven Druck, einer Gewerkschaft beizutreten. Das wird aber nicht weiter belegt, eine individuelle Zwangswirkung ist nicht erkennbar. Das BAG geht jedenfalls nachvollziehbar davon aus, dass kein höherer Druck erzeugt wird als derjenige, der sich stets ergibt, wenn individualvertragliche Vereinbarungen hinter den Abreden zurückbleiben, die eine Gewerkschaft im Wege eines Tarifvertrages nur für ihre Mitglieder treffen kann.

Es ist auch nicht erkennbar, dass das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG, einen Arbeitsvertrag frei zu schließen und daher auch aushandeln zu können, verletzt wäre. Abhängig Beschäftigte befinden sich beim Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit, weshalb Vorkehrungen zu treffen sind, um sie zu schützen. Schutz davor, dass eine Unterlegenheit ausgenutzt wird, können Tarifverträge bewirken, und grundsätzlich darf davon ausgegangen werden, dass von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnisse die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich bringen. Das hat das BAG hier nachvollziehbar angenommen. Die betrieblichen und tarifvertraglichen Regelungen, die auch auf den Beschwerdeführer Anwendung fanden, waren angesichts der besonderen Umstände des Falles geeignet, eine strukturelle Unterlegenheit aufzufangen.

Es fehlen jedenfalls Anhaltspunkte dafür, dass grundrechtliche Schutzinteressen des Beschwerdeführers verletzt worden wären, die einer Anwendung tarifvertraglicher Sonderregelungen für vor dem Stichtag eingetretene Mitglieder der Gewerkschaft entgegenstünden. Das BAG hat das geprüft und die Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft an einem Stichtag für sachlich begründet erachtet. Sie hebe auf den besonderen Kündigungsschutz derjenigen ab, die gerade zuvor bereits Mitglied waren, weshalb ein Stichtag erforderlich war, um verlässlich zu bestimmen, wer die vereinbarten Leistungen erhalten würde. Zudem ist die Gewerkschaft ohnehin nur befugt, Abreden für ihre Mitglieder zu treffen, und kann schon aufgrund der Tarifautonomie nicht als verpflichtet angesehen werden, dabei alle Beschäftigten gleichermaßen zu berücksichtigen.

Es liegt auch kein Grund vor, generell anzunehmen, dass Sozialplanvolumina durch eigenständige tarifvertragliche Vereinbarungen zugunsten von Mitgliedern der Gewerkschaften und zulasten der Nichtorganisierten ausgezehrt werden. Hier war das Zustandekommen des Betriebsänderungsmodells insgesamt davon abhängig, dass der ganz überwiegende Teil der vom Ausscheiden betroffenen Arbeitnehmer diesem Modell selbst zustimmten. In Anbetracht des Organisationsgrades der Gewerkschaft war dies wiederum nur erreichbar, wenn auch die betroffenen Beschäftigten, die nicht Mitglied der Gewerkschaft waren, mehrheitlich ihre Zustimmung zu den Abreden erklärten. Zudem erreichen die auf bisherige Mitglieder der Gewerkschaft beschränkten Vergünstigungen kein Ausmaß, das angesichts des Gesamtvolumens der vereinbarten Leistungen eine Auszehrung nahelegen würde.

Linkhinweis:

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BVerfG PM Nr. 89 vom 21.12.2018
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